Hawkings neues Universum
mehr Nachkommen haben. Wie dieses Szenario das Problem der niedrigen Entropie löst, ist freilich noch nicht klar. Doch Smolin ist, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen inzwischen überzeugt: „Die Zeit ist real!“
Paul Davies, Physik-Professor an der Arizona State University in Tempe, argumentierte ebenfalls für einen neuen Blick auf die fundamentalen Fragen: „Alles andere verschiebt nur die Beule im Teppich.“ Mit seinem Vortrag schlug er in dieselbe Kerbe wie Smolin. Er sprach sogar von „Flexilaws“, um bereits im Begriff die angeblich ehernen Gesetze zu dynamisieren. Aber wie aus dieser neuen Flexibilität die filigranen Strukturen der Welt erwachsen sollen, konnte er nur mit einer Karikatur demonstrieren: Darin rieselt der Sand in einer Sanduhr nicht einfach zu dem gewohnten Haufen unten im Stundenglas, sondern formt dort eine kühn geschwungene Sandburg – eine witzige Umkehr der Entropie.
Totgeborene und menschenfreundliche Universen
Max Tegmark hat in gewisser Weise den größten Kosmos von allen. Was sich wie ein pubertäres Spiel anhören mag, ist freilich eine kühne kosmologische These. Er glaubt an einen „platonischen Status“ der Naturgesetze, die ihm zufolge gleichsam über den Dingen stehen, außerhalb und unabhängig von der schnöden materiellen Realität. Wie Smolin und Davies nimmt auch er die Existenz anderer Universen an – mehr noch: Er behauptet sogar, dass alle überhaupt möglichen Universen wirklich sind und letztlich mathematische Strukturen darstellen. „Einige von ihnen besitzen Zeit, andere nicht. Aber sie sind nicht in der Zeit. Die Zeit existiert in ihnen, nicht umgekehrt.“
Sprach’s und nahm Smolin auf der NYAS-Podiumsdiskussion den Wikingerhelm wieder weg. Und er setzte seiner provokanten These noch eins drauf: „Warum ist die Entropie so niedrig? Weil wir in einem Multiversum leben.“ Soll heißen: Weil alles möglich ist, muss auch unser Universum möglich sein. Und da wir nicht überall existieren können – die meisten Universen sind gleichsam totgeboren, weil ihre Naturgesetze beispielsweise niemals die Entstehung von Sternen und schweren Elementen ermöglichen – sollten wir uns nicht über die lebensfreundlichen Bedingungen wundern. Genauso wenig überraschend ist es ja, dass wir auf der Erde und nicht auf Merkur oder Pluto sind, denn dort wäre es viel zu heiß oder zu kalt. Tegmark glaubt also – wie viele andere Physiker –, dass die Zeit vorwärts läuft und die Entropie niedrig ist, weil wir in einem Universum, in dem das nicht so wäre, schlicht nicht existieren könnten. Und uns deshalb auch nicht über die geringe Entropie zu wundern bräuchten.
Dieses Argument, zuweilen Schwaches Anthropisches Prinzip genannt, ist freilich umstritten – und für Forscher wie Smolin überhaupt keine wissenschaftliche Erklärung. Trotzdem hat es seine Sympathisanten. Dazu zählt auch Stephen Hawking, der es folgendermaßen definiert hat: „Wir sehen das Universum so, wie es ist, weil wir nicht da wären, um es zu beobachten, wenn es anders wäre.“
Schon in den 1980er-Jahren hatte Hawking das Schwache Anthropische Prinzip herangezogen, um zu erklären, warum wir die thermodynamische und kosmologische Zeitrichtung wahrnehmen können. Er hatte damit aber zunächst nur gemeint, dass wir uns nicht zu wundern brauchen, weshalb wir nicht in einem kontrahierenden Universum leben. (Dazu später mehr.) Und er wollte mit dem Anthropischen Prinzip auch nicht den Ursprung der Zeitpfeile erklären.
Tatsächlich reicht das Anthropische Prinzip nicht aus, um die Zeitrichtung verständlich zu machen. Denn das beobachtbare Universum ist sehr viel geordneter, als für die menschliche Existenz nötig. Genauer gesagt: Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich unser gesamtes Sonnensystem mit der Erde und all ihren Lebensformen aus zufällig passend angeordneten Teilchen bildet, beträgt zwar nur 1:10 10 58 – aber sie ist extrem viel größer als die 1:10 10 121 für das ganze beobachtbare Universum. Das Anthropische Prinzip als Auswahlkriterium eines lebenstauglichen Universums aus dem multiversalen Reich der Möglichkeiten macht den tatsächlichen Entropie-Wert also überhaupt nicht plausibel.
Kosmischer Schwindel
„Gedanken leben ebenso von der Bestätigung wie vom Widerspruch“, schrieb der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig einmal.Und der Widerspruch zwischen 1:10 10 58 und 1:10 10 121 ist enorm. Damit verwandt ist ein anderes Problem: Selbst wenn unser
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