Hawkings neues Universum
also auch keine fundamentale Größe ist. Man kann nicht einmal von Anfangsbedingungen sprechen, da es streng genommen gar keinen Anfang gibt, sondern muss von allgemeineren Randbedingungen ausgehen. Eine besondere Rolle fällt dabei dem Expansionsparameter zu, der die Ausdehnung des Weltraums beschreibt. „Wegen der Struktur der Wheeler-DeWitt-Gleichung ist er in gewisser Weise die Zeit“, sagt Zeh.
In der Kosmologie von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kann man sich das Universum wie eine Kugel vorstellen. Würde man sie wie mit einem Eierschneider in Scheiben zerteilen – gewissermaßen Zeitscheiben begrenzt durch Breitengrade – hätte man verschiedene, aufeinander gestapelte Zustände des Universums bei unterschiedlichen Radien. Dadurch wäre die Zeit gleichsam verräumlicht. Und als Maß für ihre Richtung lässt sich der Expansionsparameter – die Größe der Scheiben – verwenden. Zeh: „Die Einstein-Gleichungen legen den zeitlichen Abstand zwischen zwei Scheiben fest. Daher kann die heutige Geometrie nicht die von morgen sein.“
Hawkings größter Fehler
Bereits ein Jahrzehnt vor Kiefer und Zeh kam Stephen Hawking ebenfalls zur Auffassung, dass Ur- und Endknall thermodynamisch äquivalent sein müssen, also ein quantenkosmologischer Big Brunch. Das war 1985, also nachdem er mit James Hartle sein eigenes Weltmodell – seine Lösung der Wheeler-DeWitt-Gleichung – veröffentlicht hatte. „Ich war der Meinung, das Universum müsse in einen gleichförmigen und geordneten Zustand zurückkehren, wenn es zu kollabieren begänne. Dann würden die Menschen in der Kontraktionsphase ihr Leben rückwärts leben. Sie stürben, bevor sie geboren würden, und würden jünger, während das Universum sich zusammenzöge.“
Hawkings Modell war jedoch einfacher und beruhte auf anderen Voraussetzungen als das von Zeh und Kiefer. Und, wie sich herausstellte, viel zu einfach. Das erkannte schon bald Don N. Page, der heute Physik-Professor an der kanadischen University of Alberta in Edmonton ist und nach seiner Promotion bei Kip Thorne am California Institute of Technology, mit Hawking als Zweitgutachter, einige Jahre bei den Hawkings in Cambridge wohnte.
Hawking war nicht gleich überzeugt, sondern setzte seinen Studenten Raymond Laflamme auf das Problem an. Aber dessen Berechnungen widersprachen Hawkings Auffassung ebenfalls. „Er erklärte: ,Nein, ich habe etwas anderes erwartet‘“, erinnerte sich Laflamme später, der heute am Perimeter Institute im kanadischen Waterloo forscht. „Ich erwiderte: ,Aber ich habe das herausbekommen, Stephen.‘ Ich ging an die Tafel und erläuterte meine Lösung. Er fragt: ,Haben Sie auch an diesen Sonderfall gedacht?‘ Darauf ich: ,Oh – darauf bin ich gar nicht gekommen.‘ Ich ging also wieder fort und rechnete den Fall durch, auf den er mich aufmerksam gemacht hatte. Nach ein paar Wochen war ich wieder zur Stelle. Ich sagte: ,Ich habe nichts anderes herausbekommen, Stephen. Ich habe immer noch die gleiche Lösung wie neulich.‘ Er erklärte: ,Nein, nein, so geht das nicht. Haben Sie daran gedacht?‘ Und ich sagte: ‚Oh nein, den Fall habe ich vergessen.‘ Also machte ich mich wieder an die Arbeit und begann alles noch einmal durchzurechnen. Und wieder kam dieselbe Lösung heraus. Also suchte ich Stephen abermals auf. So ging das wohl zwei oder drei Monate weiter. Schließlich sagte er: ,Vielleicht ist eine Ihrer Näherungen nicht gültig.‘ Deshalb beschlossen ein Kollege und ich, die Sache mit Computern durchzurechnen. Es dauerte lange, die Programme zu schreiben und sie durchzuchecken. Aber am Ende erhielten wir wieder die gleiche Lösung. Da kam Don Page herein und sagte: ‚Ich bin daran sehr interessiert, Raymond, denn bei mir kommt ziemlich genau dasselbe raus, wenn auch auf einem ganz anderen Weg.‘ Deshalb verabredeten wir, Stephen davon zu überzeugen, dass wir in diesem speziellen Bereich Recht hatten.“ Und so gingen die beiden schrittweise vor. Sie machten Hawking zunächst die Ausgangsformeln plausibel, bevor sie ihm das Ergebnis mitteilten, damit er es nicht gleich wieder verwarf. „Gemeinsam bearbeiteten wir Stephen etwa einen Monat lang, bis wir ihn schließlich so weit überzeugt hatten, dass er uns Recht gab.“
„Ich hatte meinen größten Fehler begangen, zumindest meinen größten Fehler in der Physik. Es stellte sich heraus, dass ich von einem zu einfachen Modell des Universums ausgegangen war“, räumte Hawking im
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