Hawkings neues Universum
engsten Umkreis gehörten. Dabei hatte er sich lange geweigert, den Rechner zu benutzen.
„Es war eine innere Abwehr. Er wollte nicht daran glauben, dass er nie wieder würde sprechen können“, erinnert sich Brian Whitt, der 1982 bis 1985 bei Hawking promovierte (über ein Thema der Quantengravitation), und noch drei Jahre einen Forschungsauftrag übernahm, bis er sich mit einem Computerunternehmen in Cambridge selbstständig machte. „Das erste, was er eintippte, nachdem er ‚Hallo‘ gesagt hatte – Stephen ist in diesen Dingen immer sehr höflich –, war: ‚Hilfst Du mir, mein Buch zu beenden?‘“ Brian Whitt tat es, und er genoss es, mit Hawking Analogien auszuhecken, um abstrakte Sachverhalte und Begriffe zu veranschaulichen. „Stephen war nicht zu den geringsten Abstrichen in punkto Genauigkeit bereit“, erinnert er sich. „Natürlich muss man manche Dinge vereinfachen, und natürlich kann man nicht jede Einzelheit erklären. Aber wenn man eine Analogie verwendet, dann darf sie nicht gleich an der ersten Hürde scheitern. Beispielsweise haben wir mit einer Analogie zu erklären versucht, wie es kommt, dass Teilchen, die bei niedrigeren Energieniveaus verschieden sind, bei höheren Niveaus identisch sind. Die Analogie war eine Kugel, die in einem Roulette kreist. Solange sich das Roulette dreht, kann sie auf jeder Zahl landen. Jede Kugel, die in irgendeinem Zahlenfach des Roulettes zur Ruhe kommt, gleicht jeder anderen Kugel.“
Ohne das Computerprogramm hätte Hawking sein Buch nicht vollenden können. „Es ging ein bisschen langsam, aber ich bin auch kein schneller Denker, und deshalb passt es zu mir“, notierte er später. „Mit Hilfe dieses Systems schrieb ich, den Kommentaren und Fragen Guzzardis folgend, den ersten Entwurf fast völlig um.“
1986 starb Frank Hawking – aber er hatte die Rohfassung des Manuskripts seines Sohnes noch interessiert gelesen. Die Veröffentlichung von Eine kurze Geschichte der Zeit – Guzzardi setzte den Titel gegen Hawkings Bedenken durch – war für April 1988 vorgesehen. Al Zuckerman kümmerte sich um die internationale Lizenzvergabe. Schon aus der Sowjetunion und Südkorea waren Vorbestellungen eingetroffen. Dann verließ Guzzardi überraschend den Verlag, um einen anderen Job anzunehmen. Sein Nachfolger reduzierte die Startauflage als erstes auf 40.000 Exemplare. Aber auch diese wurden sofort wieder eingestampft. Denn sie war voller Fehler, wie ein Wissenschaftler bemerkte, dem ein Vorabexemplar für eine Rezension in der renommierten Fachzeitschrift nature geschickt worden war. „Fotos und Diagramme standen am falschen Platz oder waren falsch beschriftet“, erinnert sich Hawking. „Drei Wochen fieberhafter Korrektur- und Lektoratsarbeiten waren nötig, um das Buch doch noch rechtzeitig zum angekündigten Erscheinungstermin in die Buchhandlungen zu bringen“. Der Rest ist Geschichte ... Die verkaufte Auflage bisher beträgt rund 10 Millionen Exemplare.
„Zweifellos hat der menschliche Aspekt – dass es mir gelungen ist, trotz meiner Behinderung als Theoretischer Physiker zu arbeiten – zum Erfolg des Buchs beigetragen“, räumt Hawking ein. „Doch die Leser, die es gekauft haben, um darüber etwas zu erfahren, dürfen enttäuscht worden sein, denn es enthält nur wenige Hinweise auf meine Lebensumstände. Ich wollte ein Buch über die Geschichte des Universums schreiben, nicht über mich.“
Dies ist Hawking gelungen. Und manches, was er beschrieb, war zuvor in Buchform noch nicht populärwissenschaftlich aufgearbeitet worden – eine Pionierleistung also auch hier. Angesichts der Schwierigkeit des Stoffes, schließlich geht es dabei buchstäblich ums Ganze, verwundert es nicht, dass viele Leser an der einen oder anderen Passage kapitulierten. Tatsächlich ist das Buch für Laien sogar stellenweise kaum nachvollziehbar – was Hawking dazu bewog, 2005 zusammen mit dem Physiker und Computerspiel-Designer Leonard Mlodinow eine aktualisierte und teils stark vereinfachte Version herauszubringen, Die kürzeste Geschichte der Zeit. Sie verkaufte sich allerdings schlechter und ließ viele interessante Details des Vorgängerwerks weg. Mlodinow hatte in der Quantentheorie geforscht, aber auch Drehbücher verfasst – unter anderem für die TV-Serien Star Trek: The Next Generation und MacGyver. Vier Jahre lang arbeitete er mit Hawking an einem weiteren Buch mit dem missverständlichen Titel Der Große Entwurf (The Grand Design). Darin geht es um
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