Hawkings neues Universum
betraf die Beziehung selbst. „Er wollte nicht als ein normales Familienmitglied behandelt werden, sondern betrachtete den ihm zustehenden Platz auf einem Podest mitten im Zentrum“, schrieb sie in ihrer Autobiographie. Dass Hawking – nicht nur in der wissenschaftlichen Arbeit – ein großer Sturkopf sein kann, ist zumindest unumstritten, das Bild eines Haustyranns in Anbetracht seiner völligen Hilflosigkeit jedoch ziemlich abwegig. Gleichwohl stand Jane Hawking unter starkem psychischem Druck, auch in gesellschaftlicher Hinsicht. „Ich konnte ihn nicht verlassen, ich wäre die egoistische, untreue Ehefrau gewesen. Ich versuchte loyal zu ihm zu sein. Aber es gab Zeiten, da dachte ich, ich könnte es nicht schaffen. Was sollte ich tun? Mich in einen Fluss stürzen? Aber ich konnte meine Kinder nicht alleine lassen. Ich fühlte, in der Falle zu sitzen.“ Eine Art Rettung war Jonathan Hellyer Jones, ein Musiklehrer, mit dem sie sich anfreundete und mit Stephen Hawkings freiwillig-unfreiwilliger Duldung diskret eine Beziehung führte. Doch mit der Rund-um-die-Uhr-Pflege wurde das schwierig. Auch fand sie in Hawking wenig emotionale Unterstützung oder Verständnis, als sie ihre Doktorarbeit über mittelalterliche spanische Poesie abschloss – auch, um ein eigenes Stück Identität zu bewahren. „Seine Geringschätzung war unerbittlich.“ Hinzu kamen Konflikte mit ihrer Schwiegermutter und die immer belastendere Dichotomie zwischen Hawkings intellektuellem Ruhm und seiner körperlichen Hinfälligkeit. „Außerdem kam jemand, die ihn verehrte“, schrieb Jane Hawking verbittert in ihrer Autobiographie.
Diese Verehrerin war Elaine Mason, eine seiner Krankenschwestern und die Ex-Frau von David Mason, dem Hawking seinen Sprachcomputer verdankt. Die Konflikte kulminierten, mitunter beschallte Hawking das ganze Haus mit Wagner-Klängen. Und am 17. Februar 1990 zog er plötzlich aus und mit Elaine Mason zusammen, die er im September 1995 heiratete. „Trotz seines Intellekts hatte er keinen Widerstand gegen emotionalen Druck“, kommentierte Jane Hawking dies später. Doch inzwischen ist auch diese Ehe Vergangenheit. Es kursierten sogar Gerüchte von Misshandlungen; polizeiliche Untersuchungen wurden jedoch abgebrochen. Inzwischen ist Hawkings Verhältnis mit Jane, die Jonathan Hellyer Jones geheiratet hatte, wieder besser. Wozu auch der Enkel William beitrug, den Lucy 1997 geboren hatte.
Arbeitszeit: Wie Hawking forscht
„Obwohl ich Pech hatte und ALS bekam, hatte ich sonst in fast allem Glück“, sagt Hawking. „Ich bin froh, mit der Theoretischen Physik begonnen zu haben, eines der wenigen Forschungsfelder, bei dem die Behinderung kein ernstes Handicap ist.“ Hawking sieht sogar Vorteile seiner Krankheit. „Ich muss keine Vorlesungen halten und mich nicht auf den vielen Sitzungen langweilen.“ Auch von anderen lästigen Pflichten ist er entbunden, Geschirrspülen und Rasenmähen zum Beispiel, so dass er mehr Zeit zum Denken hat, wie er sagt.
Doch Denken allein reicht nicht aus. Wie arbeitet Hawking, wie bereichert sein Denken die Wissenschaft?
Typischerweise fährt er gegen 11 Uhr in sein Büro und bleibt bis 19 Uhr. Dort arbeitet er an seinen Forschungen und Vorträgen, liest neue Artikel in den elektronischen Archiven, beantwortet E-Mails und telefoniert über eine spezielle Computerverbindung. Der alle zwei Jahre mit neuen Programmen aufgerüstete Computer ist seine Schnittstelle zur Welt – mehr noch: „I‘m Intel inside“, sagt Hawking im Hinblick auf den Chip, der seine kommunikative Identität maßgeblich prägt. Auch mathematische Texte kann er verfassen. „Ich schreibe meine Artikel mit dem Programm TeX. Ich kann die Gleichungen mit Wörtern ausdrücken, und das Programm übersetzt sie in Symbole.“
Die Mathematik selbst ist aufgrund seiner Behinderung freilich extrem mühsam. Aber Hawking hat seine Tricks entwickelt, um so effektiv wie möglich vorzugehen. Er bekennt, „kein intuitives Gefühl für Gleichungen“ zu haben. „Ich denke in Bildern.“ Hier lässt er sich von seiner Vorstellungskraft und Phantasie leiten, auch wenn er nicht sofort alles überblicken kann. „Ich verlasse mich sehr oft auf die Intuition und versuche, ein Ergebnis zu erraten, doch dann muss ich es beweisen. Und in dieser Phase stelle ich sehr häufig fest, dass die Dinge, so wie ich sie mir vorgestellt haben, nicht stimmen oder dass eine ganz andere Situation vorliegt, an die ich nie gedacht habe. So habe
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