Hawkings neues Universum
schickte. Inzwischen ist seine Hand dafür zu schwach. Nun kommuniziert er mithilfe seines rechten Wangenmuskels: Ein Sensor an der Brille, der durch ein Kabel mit dem Computer verbunden ist, registriert die Muskelanspannung über die Reflexion eines Infrarotstrahls.
Wie die Krankheit weiter verläuft, ist ungewiss. Aber Hawking gibt nicht auf und ist noch voller Pläne. Seine Erfolge geben ihm zusätzlichen Halt und Rückenwind. „Mit einem gewissen Stolz glaube ich, dass ich trotz meiner Krankheit einen bescheidenen, aber wichtigen Beitrag zum Wissen der Menschheit geleistet habe“, sagte er in einem Interview. „Natürlich habe ich sehr viel Glück gehabt, aber jeder kann etwas erreichen, wenn er es intensiv genug versucht.“
Ehrenplatz: Der berühmteste Lehrstuhl der Welt
„Ich sitze hier auf Isaac Newtons Lehrstuhl“, weiß Stephen Hawking über seine Professur in Cambridge. „Aber dieser Stuhl hat sich offensichtlich stark verändert. Er wird jetzt elektrisch betrieben.“ Dies zeigt einmal mehr, dass der britische Physiker vor seiner schweren Behinderung, die ihn an den elektrischen Rollstuhl fesselt, genauso wenig kapituliert wie vor den Herausforderungen der Kosmologie, und dass er seinen trockenen Humor behalten hat.
1975 war Hawking zum Reader für Gravitationsphysik ernannt worden. Nach dieser akademischen Stellung zwischen Fellow und Professor wurde er 1977 Professor für Gravitationsphysik an der Cambridge University und Professorial Fellow am Caius College. Im Oktober 1979 dann die große Überraschung: Fast gegen seinen Willen wurde Hawking auf den Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik berufen. Finanziell machte die Berufung kaum einen Unterschied, aber die Ehre war enorm: Der Lehrstuhl gehört zu den berühmtesten der Welt.
Isaac Newton, der die Gesetze der Schwerkraft und Bewegung entdeckte und damit die Physik von Himmel und Erde vereinigte, hatte ihn von 1669 bis 1702 inne, als Zweiter nach dem Mathematiker Isaac Barrow. Ein anderer Vorgänger Hawkings war Charles Babbage. Er wurde 1828 berufen und entwickelte zwei mechanische Rechenmaschinen, die als Vorläufer des Computers gelten können. Zu seinen Lebzeiten wurden sie zwar nicht gebaut. Die Differenzmaschine, die 1991 nach seinen Plänen entstand, funktionierte aber perfekt. Auch Paul Dirac, der 1933 – ein Jahr nach seiner Berufung – den Physik-Nobelpreis erhielt, mehrte den Ruhm des Lehrstuhls gewaltig. Er vereinigte die Quantentheorie mit der Speziellen Relativitätstheorie und war damit eine Art zweiter Newton.
Hawking ist sich der Tragweite seines Amts bewusst: „Es ist nett, dieselbe Position wie Newton und Dirac inne zu haben. Aber die echte Herausforderung besteht darin, etwas zu leisten, das auch nur einen Bruchteil so signifikant ist wie ihre Arbeit.“
Der Lehrstuhl war der erste für Mathematik in Cambridge. (Die erste britische Mathematik-Professur gab es bereits seit 1597 am Gresham College in London.) Henry Lucas (1610 bis 1663), der für die Universität 1639 bis 1640 im englischen Parlament war, hatte ihn 1663 gestiftet. Und King Charles II. setzte ihn am 18. Januar 1664 offiziell in Kraft. Lucas überließ der Universität seine 4000 Bücher und ein Landgut, das 100 Pfund jährlich für die Professur abwerfen sollte. Gefordert wurden an zwei Tagen pro Woche zwei Sprechstunden sowie ein wöchentliches Minimum von zehn Vorlesungen, die ausführlich auszuarbeiten und dem Archiv der Universitätsbibliothek zu übergeben waren – andernfalls drohte Gehaltsminderung. Und so finden sich dort heute noch Originalnotizen beispielsweise von Isaac Newton. 1857 wurden die Statuten modernisiert. Auch das Gehalt wurde erhöht und 1914 mit dem anderer Professuren gleichgesetzt.
Lucas hatte gefordert, den Lehrstuhl vom College-Wesen inhaltlich und verwaltungstechnisch weitgehend unabhängig zu halten – trotz der Verbindung mit dem Trinity College – und nicht der Kirche zu unterstellen. Charles II. befreite die Professoren daher von der Anforderung, das Weihesakrament entgegenzunehmen, also ordinierte Kleriker zu sein. „Die Lucasischen Statuten sind ein Schritt in der Entwicklung der Universität von ihren quasimonastischen, mittelalterlichen Wurzeln in die moderne Form“, kommentiert dies der bekannte kanadische Mathematiker und Sachbuchautor Ian Stewart. (Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Cambridge eine moderne Universität.)
Freilich war die Säkularisierung nur halbherzig. George Stokes – berühmt durch
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