Hawkings neues Universum

könnte, die von der Ewigen Inflation erzeugt werden, kann es beliebig weit vom Anfang der Inflation entfernt sein“, erklärt Alan Guth. „Damit gehen alle Spuren seines Beginns verloren.“
    Das ist keine gute Nachricht. Mehr noch: Die allermeisten Blasenuniversen sind relativ jung, weil das rasant wachsende falsche Vakuum gleichsam immer mehr „Platz“ für ihre Entstehung schafft. Die Wahrscheinlichkeit ist also sehr groß, dass unser eigenes Universum ein ganz junger Spross an Guths „Baum der Universen“ ist. Andrei Linde hat diese zwar zwingende, aber irgendwie auch kontraintuitive Schlussfolgerung schon 1994 erkannt und die irritierende, geradezu antikopernikanische Frage gestellt, ob wir nicht in gewisser Weise sogar „im Zentrum der Welt“ leben.
    Wenn vor der Entstehung unseres Blasenuniversums eine beliebig lange Zeit der Inflation herrschte – die Inflation also gewissermaßen gar kein Teil unseres Universums ist, sondern gerade umgekehrt unser Universum ein winziges Zucken in der fortwährenden Explosion der Ewigen Inflation –, dann würde das jede Chance zunichte machen, Beobachtungshinweise vom ersten Augenblick beziehungsweise der Zeit vor dem Beginn der Inflation zu entdecken.
    So weitreichend der Erklärungsanspruch der Inflationsmodelle auch ist, das Rätsel des Ursprungs von Allem wird dadurch noch lange nicht gelöst. Michael Turner von der University of Chicago, einer der Hauptverfechter der Inflation, hat das sehr prägnant auf den Punkt gebracht: „Wenn die Inflation das Dynamit hinter dem Urknall ist, dann suchen wir noch immer nach dem Zündholz.“
Vier Bedeutungen von „Urknall“
    „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, begann Hermann Hesse 1941 sein Gedicht Stufen . Die Kosmologen sind bei allen Fortschritten, den Anfang des Universums zu erklären, Zauberlehrlinge geblieben. Ihren Berechnungen zufolge ist das Universum gleichsam überlichtschnell explodiert, aber den Zaubertrick dahinter hat noch niemand durchschaut. Das liegt auch daran, dass sich die Inflation bislang nicht streng in einen theoretischen Rahmen zur einheitlichen Beschreibung der fundamentalen Naturkräfte einbetten lässt – zumal dieser bislang nur in Ansätzen existiert. Doch es gibt keinen Grund zur Resignation. Im Gegenteil: Michael Turner ist sogar davon überzeugt, dass das goldene Zeitalter der Kosmologie gerade erst begonnen hat. Denn dank neuer Beobachtungsmöglichkeiten grenzen jetzt immer mehr und immer bessere Daten die Theorienvielfalt ein. Turner spricht sogar vom Beginn der „Präzisionskosmologie“. Von den genauen Messungen der kosmologischen Parameter, etwa durch die Raumsonden WMAP und Planck (seit August 2009), haben Kosmologen in den 1980er-Jahren nämlich nur träumen können. Vor allem in der Kosmischen Hintergrundstrahlung sind noch zahlreiche Informationen über die Frühzeit des Kosmos verborgen. Dadurch wird es vielleicht schon in wenigen Jahren möglich sein, die Einzelheiten der Inflation zu rekonstruieren – oder sie als faulen Zauber zu entlarven.
    An dieser Stelle ist es notwendig, eine vielleicht etwas spröde wirkende Begriffsklärung einzuschieben. Denn die Kosmische Inflation kann nicht nur einen riesigen Kosmos hervorbringen, sondern auch eine riesige Verwirrung stiften. Spätestens mit ihr wurde „Urknall“ nämlich zu einem mehrdeutigen Begriff. Das führt mitunter zu Missverständnissen. Man sollte mindestens die folgenden vier Bedeutungen von „Urknall“ unterscheiden:
Die heiße, dichte Frühphase unseres Universums: Hier haben sich innerhalb weniger Minuten die leichten Elemente gebildet (Wasserstoff und Helium sowie Spuren von Lithium). Dass unser Universum aus einem Urknall in dieser Wortbedeutung entstand, wird inzwischen von fast allen Kosmologen angenommen. Und nur in diesem Sinn wird vom Standardmodell der Kosmologie oder von der Standardtheorie des Urknalls gesprochen. Wie es zu dieser heißen, dichten Frühphase kam – ob beispielsweise die Kosmische Inflation dazu geführt hat –, bleibt dabei offen.
Die Anfangssingularität: Sie markiert die Rückextrapolationsgrenze der relativistischen Kosmologie – also den Zeitpunkt, an dem die bekannten Naturgesetze zusammenbrechen: Energie, Dichte, Druck, Temperatur und Krümmung gehen gegen unendlich, Raum und Zeit verschwinden, das heißt, sie gehen gegen null. Die Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie für das Universum besitzen an diesem Punkt eine Singularität. Ob diese