Hawks, John Twelve - Dark River
sinken und hob die linke Hand. Nachts war er besonders empfänglich für die Verlockungen – und die Tücken – seiner neuen Kräfte.
Ein paar Minuten lang lenkte er seine ganze Aufmerksamkeit auf das Licht in seinem Körper. Dann kam der schwierige Moment: Während er sich weiterhin auf das Licht konzentrierte, versuchte er, seine Hand zu bewegen, ohne sie bewusst zu steuern. Manchmal kam ihm das unmöglich vor, denn wie konnte man beschließen, sich zu bewegen und den Beschluss gleichzeitig ignorieren? Gabriel atmete tief ein, und die Finger seiner Hand zuckten. Kleine Lichtpunkte segelten durch die schattige Dunkelheit wie die Himmelskörper eines Sternbildes, während seine physische Hand schlaff und leblos zurückblieb.
Gabriel bewegte den Arm, und das Licht wurde in seinen Körper zurückgezogen. Er zitterte und atmete schwer. Er setzte sich wieder auf, zog die Beine aus dem Schlafsack und stellte die Füße auf den kalten Holzfußboden. Du benimmst dich wie ein Idiot , dachte er. Das ist kein Zaubertrick. Transzendiere oder bleib in dieser Welt.
Bekleidet mit einem T-Shirt und einer Trainingshose aus Baumwolle, schlüpfte Gabriel durch eine Lücke in der Plane und betrat den Hauptraum des Lofts. Er ging zur Toilette und dann in die Küchenecke, um sich einen Schluck Wasser zu holen. Maya saß auf dem Sofa neben dem Frauenschlafzimmer. Während sie sich von der Schusswunde erholte, hatte sie die meiste Zeit schlafend verbracht, aber jetzt, da sie wieder durch die Straßen laufen konnte, fühlte sie sich rastlos und energiegeladen.
»Ist alles okay?«, flüsterte sie.
»Ja. Ich habe nur Durst.«
Gabriel drehte das kalte Wasser auf und trank direkt vom Hahn. Das Wasser war eines der Dinge, die ihm an New York am besten gefielen. In Los Angeles, wo er und Michael gewohnt hatten, hatte das Leitungswasser stets einen chemischen Beigeschmack gehabt.
Gabriel durchquerte das Loft und setzte sich zu Maya. Sogar nach dem Streit über seinen Vater liebte er es immer noch sehr, sie anzusehen. Maya hatte das schwarze Haar ihrer Mutter, einer Sikh, und die ausdrucksstarken Gesichtszüge ihres Vaters geerbt. Ihre Augen waren von einem auffälligen Hellblau und sahen aus wie zwei transparente Flecken aus Wasserfarbe, die vor einem weißen Hintergrund schwimmen. Draußen auf der Straße versteckte sie ihre Augen hinter einer Sonnenbrille und ihr Haar unter einer Perücke, trotzdem verrieten ihre Bewegungen den Harlequin. Wenn sie einen Lebensmittelladen betrat oder in der U-Bahn stand, nahm sie instinktiv die Haltung einer Kämpferin an, die einen ersten Schlag einstecken kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
Nach ihrer ersten Begegnung in Los Angeles hatte Gabriel sich überlegt, dass Maya der ungewöhnlichste Mensch war, den er jemals getroffen hatte. Sie war ein Harlequin, und in vielerlei Hinsicht eine moderne Frau. Sie war eine Expertin, wenn es um Überwachungstechnologie ging. Aber gleichzeitig trug sie die Last einer jahrhundertealten Tradition auf ihren Schultern. Maya war noch ein kleines Mädchen gewesen, als ihr Vater Thorn ihr eine Lehre über die Harlequins eingetrichtert hatte: Verdammt durch das Fleisch. Gerettet durch das Blut. Maya schien überzeugt, sich irgendeines grundlegenden Vergehens schuldig gemacht zu haben, das sie nur unter Einsatz ihres Lebens wiedergutmachen konnte.
Maya hatte einen klaren Blick auf die Welt – jede Dummheit, alles Überflüssige war schon vor vielen Jahren aus ihrer Wahrnehmung verbannt worden. Gabriel wusste, dass sie niemals die Regeln verletzen und sich in einen Traveler verlieben würde. Und gerade jetzt, da seine eigene Zukunft im Dunkeln lag, wäre es äußerst unverantwortlich von ihm gewesen, etwas an ihrer Beziehung ändern zu wollen.
Er und Maya hatten als Traveler und Harlequin festgelegte Rollen, und dennoch fühlte er sich körperlich zu ihr hingezogen. Als sie sich von der Schussverletzung erholte, hatte er sie auf den Arm genommen und von der Liege zur Couch getragen, er hatte das Gewicht ihres Körpers gespürt und den Duft ihrer Haut und ihres Haars gerochen. Manchmal war die Plane nicht ganz zugezogen, und er konnte sie beobachten, wie sie sich mit Vicki unterhielt und dabei umzog. Zwischen ihnen war nichts – und trotzdem war etwas Mächtiges zwischen ihnen. Allein neben ihr auf der Couch zu sitzen, war angenehm und unangenehm zugleich.
»Du solltest ein wenig schlafen«, sagte er sanft.
»Ich kann nicht schlafen.« Wenn Maya müde
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