Headhunter
Das meiste sind blanke Lügen, wenn man zum Beispiel
hört, wie ich am Ende eines Gespräches mein übliches Mantra vorbringe: »Sie
sind der Mann, den wir für diesen Job gesucht haben. Diese Position ist Ihnen wirklich
auf den Leib geschneidert, sie passt perfekt zu Ihnen. Glauben Sie mir.« Tja.
Glauben Sie mir nicht.
Doch,
ich denke, er war von Kelley. Oder Amrop. Mit diesem Anzug konnte er auf
keinen Fall in einer der großen, uncoolen, nicht exklusiven Gesellschaften wie
Manpower oder Adecco arbeiten. Aber auch in keiner der winzigen, angesagten
Agenturen wie Hopeland, denn dann würde ich ihn kennen. Natürlich konnte es
auch eines der mittelgroßen, mittelcoolen Vermittlungsbüros wie Mercuri Urval
oder Delphi sein, oder eine der kleinen, uncoolen Buden, die Leute für mittlere
Positionen suchen und nur manchmal mit uns großen konkurrieren dürfen.
Natürlich bloß, um zu verlieren und dann reumütig zu ihren Filialleitern und
Buchhaltern zurückzukehren. Leute wie mich grüßten sie voller Ehrerbietung.
Vermutlich hofften sie, ich würde mich eines Tages an sie erinnern und ihnen
einen Job anbieten.
Es
gibt keine offizielle Rangliste für Headhunter, keine Hierarchie des Rufes,
wie es sie bei Maklern gibt. Es werden auch keine Preise für die Gurus des
Jahres vergeben, wie in der Fernseh- oder Werbebranche. Trotzdem sind wir genau
im Bilde. Wir wissen, wer den Ton angibt, wer die Herausforderer sind und wer
kurz vor dem Absturz steht. Erfolge spielen sich in unserer Branche im Stillen
ab, Beerdigungen in Totenstille.
Der
Typ, der mich soeben gegrüßt hatte, wusste, dass ich Roger Brown war, der
Headhunter, der nicht ein einziges Mal einen Kandidaten für eine Stelle
vorgeschlagen hat, die dieser nicht auch bekommen hätte. Roger Brown, der -
wenn nötig - manipulierte, Druck ausübte und seine Kandidaten zurechtbog, und
dessen Kunden seiner Einschätzung blind vertrauten und das Schicksal ihrer
Firmen ohne Zögern in seine - und nur in seine - Hände legten. Um es anders auszudrücken:
Nicht die Osloer Hafenverwaltung hat im letzten Jahr den neuen Verkehrsdirektor
eingestellt, AVIS nicht seinen neuen Skandinavienchef und die Stadtverwaltung
von Sirdal definitiv nicht den neuen Kraftwerksdirektor.
Sondern
ich.
Ich
beschloss, mir den Typ zu merken. GUTER ANZUG. WEISS, WEM ER RESPEKT ZOLLEN
MUSS.
Ich
rief Ove aus der Telefonzelle neben dem Narvesenkiosk an und kontrollierte kurz
mein Handy. Acht Nachrichten. Ich löschte sie.
»Wir
haben einen Kandidaten«, sagte ich, als Ove endlich den Hörer abgenommen hatte.
»Jeremias Lander, Monolitveien.«
»Soll
ich überprüfen, ob der bei uns ist?«
»Nein,
das weiß ich schon. Er ist morgen für ein zweites Gespräch eingeladen. Von
zwölf bis zwei. Zwei Uhr exakt. Gib mir eine Stunde. Hast du das?«
»Klar,
sonst noch was?«
»Schlüssel.
In zwanzig Minuten im Sushi & Coffee?«
»In
einer halben Stunde.«
Ich
schlenderte über die kopfsteingepflasterte Straße zum Sushi & Coffee.
Vermutlich haben sie sich hier aus Gründen der Idylle für einen lauteren Straßenbelag
entschieden, der nicht nur teurer ist, sondern auch für noch mehr Abgase sorgt.
Aus Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Beständigen, dem Echten. Auf jeden Fall
echter als die Kulisse dieses Stadtteils, der an einem Ort hochgezogen worden
ist, an dem früher einmal körperlich gearbeitet wurde, unter glühender Hitze
und schweren Hammerschlägen. Jetzt kam das Echo nur noch vom Sprotzen und
Gurgeln der Espressomaschinen und den klirrenden Gewichten in den
Fitnessstudios. Dieser Ort war die Verkörperung des Triumphs des Tertiärsektors
über die Industriearbeiter, des Designs über die Wohnungsnot, der Fiktion über
die Wirklichkeit. Und das gefiel mir.
Ich
hielt nach den Diamantohrringen Ausschau, die mir im Schaufenster vis-á-vis des
Sushi & Coffee aufgefallen waren. Sie würden perfekt zu Dianas Ohren
passen, wären aber eine finanzielle Katastrophe für mich. Ich schob den
Gedanken beiseite, ging über die Straße und durch die Tür des Ladens, der das
Wort Sushi im Namen führte, in Wahrheit aber nur toten Fisch anbot. Gegen ihren
Kaffee war allerdings nichts einzuwenden. Das Lokal war nur zur Hälfte besetzt.
Schlanke, durchtrainierte, platinblonde Frauen in Trainingsanzügen. Diesen
Wesen wäre es niemals in den Sinn gekommen, in einem Fitnesscenter vor anderer
Leute Augen zu duschen, was im Grunde seltsam war, hatten sie doch ein Vermögen
für ihre Körper bezahlt, die
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