Headhunter
ein, wachte aber wieder auf, als ich eine Sirene hörte. Der Bus wurde
etwas langsamer und fuhr an den Straßenrand. Ein Polizeiwagen raste mit
Blaulicht an uns vorbei. Wagen Null Zwei, dachte ich und spürte, wie mich eine
der Blonden musterte. Als unsere Blicke sich begegneten, merkte ich, dass sie
instinktiv wegschauen wollte, meine Hässlichkeit war einfach zu viel für sie.
Sie schaffte es aber nicht, und ich lächelte sie an, bevor ich wieder aus dem
Fenster blickte.
Die
Sonne schien auch auf die Heimat des alten Roger Brown, als der neue um 15.10 Uhr aus dem Zug stieg.
Aber ein eiskalter Wind wehte durch die klaffenden Wunden der malträtierten
Tigerskulpturen vor dem Osloer Hauptbahnhof, als ich über den Platz in
Richtung Skippergata lief.
Die
Drogendealer und Huren auf der Tollbugata starrten mich an, verschonten mich
aber mit den Angeboten, die sie dem alten Roger Brown immer gemacht hatten. Vor
dem Eingang des Hotels Leon blieb ich stehen und blickte an der Fassade
empor, in der der bröckelnde Putz weiße Wunden hinterlassen hatte. Unter einem
der Fenster machte ein Plakat Werbung für ein Zimmer für 400 Kronen pro Nacht.
Ich
betrat das Haus und ging zur Rezeption. Oder REZETPION, wie auf dem Schild
stand, das hinter dem Mann am Tresen hing.
»Ja?«,
sagte er anstelle des sonst üblichen »Willkommen«, das ich aus den Hotels
gewohnt war, in denen der alte Roger Brown verkehrte. Das Gesicht des Portiers
lag unter einem Firnis aus Schweiß, als hätte er hart gearbeitet, zu viel Kaffee
getrunken oder als wäre er von Natur aus nervös. Sein flackernder Blick ließ
Letzteres vermuten.
»Haben
Sie ein Einzelzimmer?«, fragte ich.
»Ja.
Für wie lange?«
»Eine
Nacht.«
»Eine
ganze?«
Ich
war nie zuvor im Hotel Leon gewesen, aber schon ein paar Mal daran
vorbeigefahren. Deshalb war ich nicht wirklich überrascht, dass sie auch
Zimmer auf Stundenbasis für das horizontale Gewerbe vermieteten. Also für die
Frauen, die weder Schönheit noch Grips genug hatten, um sich mit ihrem Körper
ein von Ove Bang entworfenes Haus und eine eigene Galerie in Frogner zu
sichern.
Ich
nickte.
»400«, sagte der Mann. »Im Voraus.« Er sprach mit dem schwedischen
Akzent, den Prediger oder Sänger von Tanzcombos aus irgendeinem Grund
bevorzugten.
Ich
schob ihm Eskild Monsens Kreditkarte über den Tisch. Aus Erfahrung weiß ich,
dass es den Hotels egal ist, ob sich die Unterschriften ähneln, trotzdem hatte
ich in der Bahn sicherheitshalber ein bisschen an dem Schriftzug gearbeitet.
Das Problem war das Foto. Es zeigte ein rundes Gesicht mit langen, lockigen
Haaren und schwarzem Bart. Trotz Unterbelichtung hatte der Mensch auf dem Foto
keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann mit dem schmalen Gesicht und dem frisch
rasierten Schädel, der vor der Rezeption stand. Der Portier studierte das Bild.
»Sie
sehen dem Foto aber gar nicht ähnlich«, sagte er ohne aufzusehen.
Ich
wartete. Bis er seinen Blick hob und dem meinen begegnete.
»Krebs«,
antwortete ich.
»Was?«
»Chemotherapie.«
Er
blinzelte drei Mal.
»Drei
Behandlungszyklen«, sagte ich.
Sein
Adamsapfel hüpfte beim Schlucken in die Höhe. Ich sah, wie unschlüssig er war.
Komm schon! Ich musste endlich ins Bett, mein Nacken brannte höllisch. Ich
fixierte ihn weiter, bis er schließlich zu Boden blickte und mir die Karte zurückgab.
»Sorry.
Ich kann mir keine Schwierigkeiten leisten, ich stehe unter Beobachtung. Haben
Sie Bargeld?«
Ich
schüttelte den Kopf. Nur ein Zweihunderter und eine Zehn-Kronen-Münze waren mir
nach dem Zugticket geblieben.
»Sorry«,
wiederholte er und streckte mir den Arm fast flehend so weit entgegen, dass
die Karte meine Brust berührte.
Ich
nahm sie entgegen und marschierte nach draußen.
Nach
diesem Erlebnis brauchte ich es gar nicht erst in anderen Hotels zu versuchen.
Wenn sie die Karte im Leon nicht akzeptierten, dann auch an keinem anderen Ort.
Eher lief ich noch Gefahr, dass jemand die Polizei rief.
Also
musste ich auf Plan B zurückgreifen.
Ich
war neu in der Stadt, ein Fremder. Ohne Geld, ohne Freunde, ohne Vergangenheit
oder Identität. Die Fassaden, die Straßen und die Passanten, sie alle
erschienen mir anders, als sie Roger Brown erschienen wären. Eine dünne Wolkenschicht
hatte sich vor die Sonne geschoben, und die Temperaturen waren noch weiter
gesunken. Am Hauptbahnhof musste ich erfragen, welcher Bus nach Tonsenhagen
fuhr, und als ich einstieg, sprach der Fahrer mich aus irgendeinem Grund
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