Headhunter
fuhren einfach zu schnell. Die alte Straße war vorübergehend
gesperrt, dort baute man eine Autobahn, daher gab es eine neue, vielleicht
etwas unlogische Kurve, die aber deutlich mit Warnhinweisen ausgeschildert
war. Der neue Asphalt schluckte Licht, natürlich. Ein geparktes Baufahrzeug.
Irgendwann hatte ich den Polizisten unterbrochen und darum gebeten, dass meinem
Vater Blut abgenommen wurde für einen Alkoholtest. Nur damit sie bestätigt
bekamen, was ich bereits wusste: Er hatte Mutter getötet.
An
diesem Abend habe ich allein in einem Pub im Baron's Court zum ersten Mal
Alkohol getrunken. Und in aller Öffentlichkeit geweint. Als ich im stinkenden
Pissoir stand und mir die Tränen abwischte, sah ich das schlaffe, versoffene Gesicht
meines Vaters in dem gebrochenen Spiegel. Und erinnerte mich an die
aufmerksame, ruhige Glut in seinen Augen, als er auf das Schachbrett
geschlagen hatte, gegen die Königin, die durch die Luft wirbelte - mit einem
zweieinhalbfachen Salto rückwärts -, bevor sie auf den Boden fiel und er mich
schlug. Nur dieses eine Mal, aber er hatte es getan. Mit der flachen Hand,
unter mein Ohr. In diesem Augenblick sah ich in seinem Blick, was Mutter als
seine Krankheit bezeichnete. Hinter seinen Augen wohnte ein hässliches,
elegantes und blutrünstiges Monster. Aber dennoch, auch dieses Monster war ein
Teil meines Vaters, von demselben Fleisch und Blut wie ich.
Blut.
Von
ganz tief unten drängte sich etwas durch all die Schichten der Leugnung und
stieg an die Oberfläche. Die ausufernde Erinnerung eines Gedankens, der sich
nicht mehr in Schach halten ließ, nahm Gestalt an. Wurde unter Schmerzen
artikuliert und damit zur Wahrheit. Einer Wahrheit, die ich bisher mit meinen
Lügen mit Erfolg auf Distanz hatte halten können, wenigstens eine Armlänge von
mir entfernt: Es war nicht die Angst, dass ein Kind mich verdrängen könnte, die
mich bewog, jeglichen Nachwuchs abzulehnen. Es war die Furcht vor dieser
Krankheit. Die Furcht davor, dass ich, der Sohn, auch unter ihr litt. Dass sie
hinter meinen Augen auf der Lauer lag. Ich hatte alle angelogen. Lotte hatte
ich erklärt, ich hätte das Kind nicht haben wollen, weil es einen
Chromosomenfehler hatte. In Wahrheit war ich derjenige, dem etwas fehlte.
Jetzt
floss alles auseinander. Mein Leben war wie die Wohnung eines Toten, und jetzt
hatte mein Hirn die Möbel mit Tüchern abgedeckt, die Türen geschlossen und
wollte gerade den Strom abstellen. Es tropfte und sickerte, es lief mir über Augen
und Stirn und in die Haare. Und ich wurde von zwei menschlichen Ballons
erstickt. Ich dachte an Lotte. Und als ich so auf der Schwelle stand, dämmerte
mir etwas. Ich sah Licht. Ich sah ... Diana? Was tat die Verräterin hier?
Ballons ...
Mein
einer Arm war frei, er hing locker herab und bewegte sich jetzt in Richtung
Beautycase. Meine tauben Finger lösten Sundeds Griff und öffneten die Tasche.
Von meiner Hand tropfte Benzin in die Tasche, während ich sie durchsuchte und
ein Hemd herauszog, ein Paar Strümpfe, eine Unterhose und eine Kulturtasche.
Das war alles. Ich öffnete die Kulturtasche und kippte den Inhalt auf die
Unterseite des Wagendachs. Zahncreme, ein Rasierapparat, Pflaster, Shampoo,
ein Plastikbeutel, den er wohl für die Sicherheitskontrolle am Flughafen
brauchte, Vaseline ... da! Eine Schere, ein scharfes, kleines, leicht
gebogenes Ding, das manche Leute aus irgendwelchen Gründen noch immer dem
Nagelschneider vorzogen.
Ich
tastete einem der Zwillinge über Bauch und Brustkorb und versuchte einen
Reißverschluss oder Knöpfe zu finden. Aber ich verlor langsam das Gefühl in der
Hand, und meine Finger wollten weder gehorchen noch irgendwelche Signale an
mein Hirn senden. Also nahm ich die Schere und hieb die Spitze in den Bauch von
... nun, nehmen wir mal an, es war Endride.
Der
Nylonstoff gab mit einem reißenden, befreienden Laut nach, glitt zur Seite und
entblößte einen prallen Bauch, der nur noch vom hellblauen Hemdenstoff der
Polizeiuniform zurückgehalten wurde. Ich schnitt das Hemd schnell auf, und
behaartes Fleisch und bläulich weiße Haut kamen zum Vorschein. Jetzt war ich
an dem Punkt, vor dem mir graute. Der Gedanke an die mögliche Belohnung - zu
leben und zu atmen - verdrängte alle anderen, also schwang ich die Schere mit
voller Wucht dicht über dem Nabel in seinen Bauch. Dann zog ich sie wieder
heraus, aber es geschah nichts.
Seltsam.
Da war ein deutliches Loch in seinem Bauch, aber es kam nichts heraus, was -
wie
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