Headhunter
der Nacht unter ein
paar Bäumen und siehst zu deinem eigenen Haus auf. Zu den Lichtern im Fenster,
der Bewegung hinter den Gardinen, vielleicht von deiner Frau. Ein Nachbar, der
seinen englischen Setter ausführt, geht an dir vorbei und schaut dich an, sieht
aber nur einen Fremden in einer Straße, in der sonst jeder jeden kennt. Der
Mann ist misstrauisch, und der Setter knurrt laut. Sie riechen beide, dass du
Hunde hasst. Denn Tiere wie Menschen halten zusammen gegen Eindringlinge,
gegen ungebetene Gäste in dem Refugium, in dem sie sich hoch oben über der
chaotischen Stadt mit ihrer Mischung aus Interessen und Terminen verschanzt
haben. Sie wollen einfach nur, dass hier oben alles so bleibt, wie es ist, denn
die Dinge laufen wunderbar. Es geht ihnen so gut, dass niemand die Karten neu
mischen will. Nein, lasst die Asse und Könige in den Händen derer, die sie
bereits haben, Unsicherheit ist schädlich für die Investitionsbereitschaft,
feste Rahmenbedingungen sichern die Produktivität, und die dient wiederum der
Gemeinschaft. Man muss etwas erschaffen, bevor man es verteilen kann.
Es ist schon
erstaunlich, dass der politisch konservativste Mensch, den ich jemals getroffen
habe, ein Chauffeur war, der für Menschen fuhr, die viermal so viel verdienten
wie er selbst und sich ihm gegenüber mit ihrer peinlich korrekten Höflichkeit
unendlich überheblich verhielten.
Vater
sagte einmal, dass ich in seinem Haus nicht mehr willkommen wäre, wenn ich
Sozialist würde, und dass das Gleiche auch für meine Mutter gelten würde. Er
war nicht wirklich nüchtern, als er das sagte, was mich aber nur in meiner
Meinung bestärkt, dass ich diese Aussage wörtlich nehmen konnte. Er war ein
wahrer Verfechter des indischen Kastensystems und meinte, wir seien nach
Gottes Willen unserem Stand zugewiesen worden und es sei unsere verdammte
Pflicht, dort auch unser elendes Leben zu leben. Oder wie der Glöckner in
Falkbergets Die vierte Nachtwache sagt,
als Pastor Sigismund ihm vorschlägt, ihn zu duzen: »Ein Glöckner ist ein
Glöckner. Und ein Pastor ein Pastor.«
Mein
Aufbegehren, die Rebellion des Chauffeurssohns, bestand deshalb aus Bildung,
Heirat mit der Tochter eines reichen Mannes, Anzügen von Ferner Jacobsen und
einem Haus am Voksenkollen. Sie war fehlgeschlagen. Vater hatte nämlich die
Frechheit besessen, mir zu verzeihen, ja er war sogar so gerissen, mir seinen
Stolz vorzuspielen. Als ich an seinem Grab stand und wie ein Kind schluchzte,
wusste ich, dass ich nicht aus Trauer um meine Mutter weinte, sondern aus Wut
auf ihn.
Der
Setter und der Nachbar (merkwürdig, aber ich erinnerte mich wirklich nicht an
seinen Namen) wurden vom Dunkel verschluckt. Ich überquerte die Fahrbahn. Auf
der Straße hatten keine fremden Autos gestanden, und als ich mein Gesicht ans
Fenster der Garage presste, sah ich, dass auch sie leer war.
Ich
schlich mich rasch in die raue, beinahe stoffliche Dunkelheit des Gartens und
stellte mich unter die Apfelbäume. Ich wusste ganz genau, dass man mich dort
vom Wohnzimmer aus nicht sehen konnte.
Ich
aber konnte sie sehen.
Sie
lief ihm Wohnzimmer auf und ab und hielt sich ihr Prada-Telefon ans Ohr. Ihre
ungeduldigen Bewegungen verrieten mir, dass sie jemand zu erreichen versuchte,
der nicht ans Telefon ging. Sie trug Jeans. Niemand trug diese Hosen so wie
Diana. Obwohl sie einen weißen Wollpullover anhatte, drückte sie sich den
freien Arm gegen die Brust, als fröre sie. Große Häuser aus den 30er Jahren brauchen lange, bis sie nach einem Temperatursturz
wieder warm werden, wie viele Heizkörper man auch andreht.
Ich
wartete, bis ich vollkommen sicher war, dass sie allein war. Überprüfte, ob die
Pistole noch im Hosenbund steckte. Atmete tief durch. Was ich vorhatte, war das
Schwierigste, was ich jemals getan hatte. Trotzdem wusste ich, dass ich es
schaffen würde. Der neue Roger Brown würde es schaffen. Vielleicht kamen mir
aus diesem Grund die Tränen. Weil alles bereits entschieden war. Ich ließ sie
laufen, und sie rannen wie warme Liebkosungen über meine Wangen, während ich
mich darauf konzentrierte, leise zu sein und nicht unkontrolliert zu atmen
oder womöglich zu schluchzen. Nach fünf Minuten waren meine Tränen versiegt.
Ich trocknete mir die Wangen. Dann ging ich schnell zur Haustür und schloss so
leise wie möglich auf. Auf dem Flur blieb ich lauschend stehen. Das Haus
schien den Atem anzuhalten, nur das Klackern ihrer Schritte oben auf dem
Parkett war zu hören. Bald würde
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