Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbo
Vom Netzwerk:
auch dieses Geräusch verstummen.
     
    Es war zehn Uhr abends,
und hinter der Tür, die nur angelehnt war, erkannte ich ein blasses Gesicht
und ein Paar braune Augen.
    »Kann
ich bei dir schlafen?«, fragte ich.
    Lotte
antwortete nicht, wie gewöhnlich, starrte mich aber wie ein Gespenst an. So
entgeistert hatte ich sie noch nie gesehen.
    Ich
lächelte schief und fuhr mir mit der Hand über den kahlen Schädel.
    »Ich
habe mich ...« Ich suchte nach den richtigen Worten. »... mich entschieden,
alles abzuschneiden.«
    Sie
blinzelte zweimal. Dann öffnete sie die Tür, und ich schlüpfte in die Wohnung.
     
    Kapitel 20
     
    Wiederauferstehung
     
    Ich
wachte auf und sah auf die Uhr. Acht. Es wurde Zeit. Vor mir lag das, was man
einen großen Tag nennt. Lotte lag auf der Seite mit dem Rücken zu mir, in die
Laken gewickelt, die sie einem normalen Federbett vorzog. Ich schlüpfte auf meiner
Seite aus dem Bett und zog mich rasch an. Es war eiskalt, und ich fror wie ein
Schneider. Ich schlich in den Flur, zog Jacke, Mütze und Handschuhe an und ging
in die Küche. In einer Schublade fand ich eine Plastiktüte, die ich in die
Hosentasche stopfte. Dann öffnete ich den Kühlschrank und dachte, dass dies der
erste Morgen meines Lebens war, an dem ich als Mörder aufwachte. Als ein Mann,
der eine Frau erschossen hatte. Es kam mir vor wie eine Zeitungsmeldung, ein
Artikel, den man überblätterte, weil die Fälle immer so übel und schrecklich
banal waren. Ich nahm einen Karton rosa Grapefruitsaft heraus und wollte ihn an
die Lippen setzen. Ließ es dann aber bleiben und holte mir ein Glas aus dem
Hängeschrank. Man muss nicht alles schleifen lassen, nur weil man zum Mörder
geworden ist. Nachdem ich ausgetrunken, das Glas gespült und den Saft wieder
in den Kühlschrank gestellt hatte, setzte ich mich aufs Sofa. Die kleine
schwarze Pistole in meiner Jackentasche drückte mir in den Bauch, und ich nahm
sie heraus. Sie roch noch immer, und ich wusste, dass dieser Geruch mich immer
an den Mord erinnern würde. An die Hinrichtung. Ein Schuss hatte gereicht. Aus
nächster Nähe, als sie mich umarmen wollte. Ich hatte geschossen, als sie
gerade die Arme ausbreitete, und hatte sie ins linke Auge getroffen. Mit
Absicht? Vielleicht. Vielleicht hatte ich ihr etwas nehmen wollen, so wie sie
versucht hatte, mir alles zu nehmen. Die verräterische Lügnerin hatte das Blei
empfangen, das wie ein Phallus geformte Geschoss war in sie eingedrungen, wie
ich es einmal getan hatte. Und nie wieder tun würde. Jetzt war sie tot. Meine
Gedanken kamen in kurzen Sätzen, sachlich konstatierend. Gut, so musste ich
auch weiterhin denken, mir meine Kälte bewahren und keine Gefühle zulassen.
Noch hatte ich nicht alles verloren.
    Ich
nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Im Videotext gab es
keine Neuigkeiten, die Redaktion war so früh vermutlich noch gar nicht im Büro.
Dort stand auch jetzt noch, dass die vier Leichen in dem Polizeiauto bei Elverum
im Laufe des morgigen Tages identifiziert werden sollten - also heute - und
dass eine Person noch immer vermisst wurde.
    Eine
Person. Es hieß jetzt nicht mehr »ein Polizist«, dabei hatten sie das anfangs
doch so formuliert? Wussten sie also inzwischen, dass der Vermisste der
Verhaftete war? Vielleicht, vielleicht auch nicht, es gab keine
Fahndungsmeldung.
    Ich
beugte mich über die Armlehne und griff zum Hörer von Lottes gelbem Telefon,
das ich in Gedanken, wenn ich sie anrief, immer dicht an ihren Lippen sah. Ihre
Zungenspitze ganz nah an meinem Ohr, wenn sie ihre Lippen befeuchtete. Ich rief
die Auskunft an, bat um zwei Nummern und fiel der Frau im Callcenter ins Wort,
als sie sagte, die Nummern würden mir vom Band vorgelesen:
    »Ich
würde sie gerne von Ihnen persönlich hören, vielleicht habe ich
Schwierigkeiten, sie sonst zu verstehen«, sagte ich.
    Ich
bekam die beiden Telefonnummern, prägte sie mir ein und bat sie, mich mit der
ersten zu verbinden. Die Telefonzentrale des Kriminalamtes meldete sich nach
dem zweiten Klingeln.
    Ich
meldete mich als Runar Bratli und gab mich als einen Verwandten von Endride und
Eskild Monsen aus. Ich sagte, ich sei von der Familie gebeten worden, die
Kleider der Toten abzuholen, es habe mir aber niemand gesagt, wohin ich kommen
oder wen ich fragen sollte.
    »Einen
Augenblick«, sagte die Frau in der Zentrale und schob mich in die
Warteschleife.
    Ich
lauschte einer überraschend schönen Panflötenversion von »Wonderwall« und
dachte an Runar

Weitere Kostenlose Bücher