Heaven (German Edition)
ruhelos.
Ich stand auf und huschte durchs Zimmer wie ein eingesperrter Vogel. Genau wie Belle wollte ich in die Welt hinausgehen und mein eigenes Leben leben. Nicht einmal Ivy und Gabriel erschienen heute wie gewohnt, sodass wir nichts Neues erfuhren. Ich wusste, dass die beiden hart daran arbeiteten, für mich eine Art Begnadigung zu erwirken, und ich war auch dankbar für alles, was sie für mich taten. Trotzdem hätte ich zu gerne gewusst, was vor sich ging, so oder so. Solange ich nicht die geringste Ahnung hatte, was mir bevorstand, konnte ich mich auch nicht darauf vorbereiten.
«Ich wünschte, mein Leben könnte sein wie in einem Disney-Film», sagte ich seufzend.
«Keine Sorge: Genau so ist es doch. Hast du nicht gesehen, was die beiden alles durchmachen mussten, bis sie zusammen sein konnten?»
«Das stimmt.» Ich lächelte. «Und es gibt immer ein Happy End, oder?»
Xavier sah mich mit seinen strahlenden Augen an. «Beth, wenn das alles vorüber ist, werden wir so viele Abenteuer erleben, wie du willst. Ich verspreche es dir.»
«Das hoffe ich», antwortete ich und versuchte positiver zu klingen, als ich mich fühlte.
Ein Sonnenstrahl kämpfte sich durch den Vorhang und fiel wie ein langgestreckter Goldbarren auf den Küchentisch. Es war, als wollte er mich herausfordern, mich aus dem Haus locken.
«Xavier, sieh doch, draußen scheint die Sonne», begann ich zögernd.
«Ja, ja», sagte Xavier unverbindlich. Ich wusste, wie es ihn belastete, mich unglücklich zu sehen.
«Ich muss hier raus. Um jeden Preis.»
«Beth, das haben wir doch geklärt.»
«Nur ein kurzer Spaziergang. Nichts Besonderes.»
«Aber unser Leben ist besonders. Jedenfalls im Moment.»
«Das ist doch lächerlich. Wir können bestimmt ein paar Minuten rausgehen.»
«Keine gute Idee», sagte Xavier. Doch ich merkte, dass seine Entschlossenheit zu wanken begann. Er sehnte sich genauso wie ich danach, wieder selber Entscheidungen zu treffen und Kontrolle über unser Leben zurückzugewinnen.
«Wer sollte uns denn hier sehen?», bohrte ich nach.
«Wahrscheinlich niemand, aber das ist nicht der Punkt. Gabriel und Ivy waren sehr deutlich.»
«Wir laufen nur durch den Garten und kehren dann gleich wieder um», sagte ich. Der Gedanke an Freiheit, so flüchtig sie auch sein mochte, hatte mich so aufgeheitert, dass Xavier kaum noch nein sagen konnte.
«Also gut», sagte er und seufzte schwer. «Aber draußen musst du dir etwas überwerfen, damit dich niemand bemerkt.»
«Wer denn?», fragte ich sarkastisch. «Die Paparazzi?»
«Beth …», sagte Xavier warnend.
«Okay, okay. Wie stellst du dir das vor?»
Statt zu antworten, verließ Xavier den Raum, und gleich darauf hörte ich ihn oben in den Schränken wühlen. Als er wiederkam, trug er eine riesige Armeejacke und einen Jägerhut über dem Arm.
«Zieh das über.»
Ich blickte ihn skeptisch an.
«Und fang bloß nicht an, zu diskutieren.»
Ich wusste, dass Xavier auf Nummer sicher gehen wollte, auch wenn bisher absolut nichts vorgefallen war – abgesehen von den mysteriösen Lichtern am Nachthimmel, von denen ich ihm aber vorsichtshalber nichts erzählt hatte. Xavier war jetzt schon angespannt genug. Vielleicht hatten diese Lichter auch gar nichts zu bedeuten. Wir hatten keine weißen Pferde gesehen, und es hatten auch keine Besucher an unsere Tür geklopft. Vielmehr waren die letzten Tage so ereignislos verlaufen, dass die große Gefahr, in der wir angeblich schwebten, mir ziemlich irreal vorkam. Ich fragte mich sogar schon, ob sich meine Geschwister geirrt hatten. Vielleicht waren sie mit dem himmlischen Willen doch nicht so gut vertraut, wie sie glaubten.
Aber ich hätte wissen müssen, dass in unserem Leben jede Zeit der Ruhe nur ein Vorbote des Sturms war.
Wir liefen durch den zugewucherten Garten hinter der Hütte, in dem Kräuter in Kübeln wuchsen und eine Schaukel aus Autoreifen am festen Ast einer Eiche baumelte. Ein moosiger Weg führte zu einem See hinab, der sich hinter dem Grundstück erstreckte. Ich atmete tief durch und spürte die Energie, die in mir Raum bekam. Am kleebewachsenen Seeufer hockten wir uns kurz hin und hielten die Hände in das kräuselnde Wasser. Es war eiskalt und so klar, dass wir bis zu den glänzenden Kieselsteinen am Boden sehen konnten. Die Bienen summten in der Luft, und eine sanfte Brise umgab uns. Die Sonne wärmte unsere Gesichter, und ihr Licht war für uns, nach der langen Zeit im Haus, so hell, dass es uns fast in den Augen
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