Heaven (German Edition)
den Schmerz. Auch wenn es klang wie ein schreckliches Klischee, fiel mir einfach nichts Besseres ein. Doch es war eine Lüge. Ich konnte es nicht erklären. Die Erklärung In Wirklichkeit sind wir verheiratet und auf der Flucht hätte uns vermutlich nicht wirklich weitergebracht.
«Ich glaube es nicht!», stieß sie hervor und wich von uns, als hätten wir eine ansteckende Krankheit. «Das ist ja widerlich.»
«Mary Ellen, hör zu!» Xavier stand auf und streckte ihr bittend die Hand entgegen, aber sie ließ ihn nicht.
«Du bist ja gestört! Sie ist deine Schwester ! Wie konntest du nur?»
«Sie ist nicht meine Schwester», versuchte Xavier ihr begreiflich zu machen. «Sie ist meine Frau.»
«Du bist verheiratet!» Mary Ellen fasste sich an die Brust, als ob sie einen Herzinfarkt erlitt, doch für mich wirkte es eher wie eine übertriebene theatralische Geste. Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. «Deshalb hast du mir also nie zurückgeschrieben oder auf meine Signale reagiert. Ich dachte schon, ich wäre nicht eindeutig genug.»
«Nicht eindeutig?», fragte Xavier ungläubig und mit leichter Wut in der Stimme. «Du bist so klar zu durchschauen wie Leitungswasser!»
«Tja, dass ich mit deiner Schwester nicht mithalten kann, ist natürlich kein Wunder», fauchte Mary Ellen.
«Jetzt halt doch mal einen Moment den Mund!», brach es aus mir hervor. «Wir haben nichts Falsches getan.»
«Findest du vielleicht», sagte Mary Ellen von oben herab. «Unsere Gesellschaft denkt aber anders darüber.»
«Ford und ich sind nicht miteinander verwandt», sagte ich eindringlich. «Wir haben dich angelogen, was das betrifft. Euch alle.»
«Hör zu.» Mary Ellen hob die Hände. «Mir ist schon klar, dass das für euch okay ist, aber nur, weil ihr nicht richtig im Kopf seid. Ich muss das melden – zu eurem eigenen Besten. Ihr werdet mir noch dankbar sein.»
«Mary Ellen, warte!», rief Xavier, aber sie hatte sich bereits umgedreht und war aus der Umkleide gerannt.
Xavier presste den Kopf in die Hände.
«Wir müssen ihr nach!», sagte ich und versuchte, ihn auf die Füße zu ziehen.
«Warum?», fragte Xavier verständnislos. «Sie hört uns doch sowieso nicht zu.»
«Xavier, überleg doch», sagte ich. «Wir reden über Mary Ellen. Sie wird es allen erzählen.»
«Lass sie doch.» Er zuckte die Achseln. «Es gibt keine Beweise. Ihre Aussage gegen unsere.»
«Das spielt keine Rolle.» Ich nahm seine Hand. «So eine Anschuldigung kann niemand ignorieren. Selbst wenn wir es leugnen, ziehen wir damit ungewollt Aufmerksamkeit auf uns. Und das, nachdem wir die ganze Zeit versucht haben, uns möglichst unauffällig zu verhalten. Wenn wir durch Mary Ellen ins Rampenlicht geraten …»
«Dann werden sie uns finden», vollendete Xavier meinen Satz angespannt.
«Genau.» Ich drückte seine Hand. «Also, komm.»
Es war wirklich nicht fair, dachte ich, während wir über den Baseballplatz liefen. Ole Miss war für uns mehr als nur ein Versteck. Das College symbolisierte alles, was wir uns wünschten, aber nicht haben konnten: eine gemeinsame Zukunft auf der Erde. Ich wollte nicht weg von hier und war nicht bereit, mich von Mary Ellen vertreiben zu lassen. Ich lief so schnell, wie ich konnte, bis meine Füße kaum mehr den Boden berührten. Niemand durfte uns in Gefahr bringen, schon gar nicht jemand, dem unsere Geschichte so egal war wie Mary Ellen. Wer mich beobachtete, nahm mich vermutlich nur verschwommen wahr. Bald schon hatte ich Xavier weit hinter mir gelassen und stöberte Mary Ellen unter einer Baumgruppe auf. Als ich sie von hinten an der Schulter packte, quietschte sie erschrocken auf.
«Lass mich los!»
«Nein!» Ich drehte sie um und zwang sie, mich anzusehen. «Erst wenn du mir zuhörst.»
Aber Mary Ellen wollte nicht zuhören. «Hilfe», schrie sie. «Hilfe!»
In diesem Moment rastete irgendetwas in mir aus. Ich würde nicht zulassen, dass das geschah. Xavier und ich hatten genug durchgemacht. Ein albernes Erstsemester wie Mary Ellen würde uns nicht von dem einzigen Ort vertreiben, an dem wir sicher waren. Ich richtete meinen Finger auf ihre Lippen, und eine Sekunde später begann eine dünne Hautschicht darüberzuwachsen, um sie zu verschließen. Mary Ellens Augen weiteten sich, und sie versuchte mit den Fingern daran herumzukratzen, bis ihr klar wurde, wie schmerzhaft es wäre, die Haut zu zerreißen, um die Lippen zu öffnen. Zitternd und voller Angst blickte sie mich an. Ich war solche Blicke nicht
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