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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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sitzen können? Irgendwie musste er sich auch austoben.
    Tante Jannie schien im Grunde nicht zu verstehen, was eigentlich in ihrem Haus vor sich ging. Sie war körperlich angeschlagen, frustriert und fühlte sich überfordert. Nicht dass dies ihr Verhalten entschuldigen würde, aber es hilft zu verstehen, warum sie nicht nur Güte, sondern auch Bösartigkeit zeigte.
    Ich versuchte, das Chaos in den Griff zu bekommen. Tante Jannies Krankheiten waren zu viel für ihren Körper, und unmittelbar nach dem Abendessen legte sie sich zum Ausruhen auf die Couch, während mein Cousin in der Ecke bleiben musste. Er stand so lange dort, dass er irgendwann anfing, unruhig von einem Bein aufs andere zu treten. Im Haus herrschte ständig eine Atmosphäre der Angst, und ich wusste nicht, wie ich meinem Cousin helfen konnte, ohne dass er noch schlimmer bestraft werden würde. Was, wenn ich es gewagt hätte, ihm zu erlauben, sich frei zu bewegen, und Tante Jannie aufgewacht wäre und seinen Ungehorsam mitgekriegt hätte? Die wenigen Male, bei denen ich den Mut aufgebracht hatte, für ihn Partei zu ergreifen, waren wir in Teufels Küche gekommen. So lief es bei Tante Jannie nun mal ab. Ich war total verwirrt.
    Die Auseinandersetzungen mit Tom lagen noch nicht lange zurück, und in Georgetown mochte es zwar unterhaltsam sein, aber auf Dauer hielt ich es dort nicht aus. Mit der Situation, in der ich mich jetzt befand, hatte ich zwar nicht gerade Glück, aber sie war immerhin ein bisschen besser als die beiden Alternativen, vor denen ich mich davongemacht hatte. Tante Jannie erhob nie die Hand gegen mich, aber sie schrie mich oft an oder ignorierte mich einfach, wenn ich nicht tat, was sie sagte. Ihre Art, mich zu bestrafen, war der Entzug ihrer Liebe und des Zusammengehörigkeitsgefühls – und das waren die beiden Dinge, nach denen ich mich zu dieser Zeit am verzweifeltsten sehnte.
    Meine Familie war in alle möglichen Richtungen verstreut. Meinem Bruder Benny ging es gut, als Musiker war er im ganzen Land unterwegs. Mein anderer Bruder Robbie kam prima allein über die Runden, Akasha war auf dem Weg, die erste Highschool-Absolventin unserer Familie zu werden. Und ich rangierte unter »ferner liefen«.
    Eines Abends prügelte Tante Jannie meinen Cousin windelweich, weil er beim Baden die Wanne zu voll gemacht hatte. »Nicht mehr als drei Zentimeter!«, hörte ich sie im Badezimmer schreien. Es waren nur ein paar Klapse auf den Hintern, sagte ich mir. Viele Kinder bekommen Klapse – bloß: Wie viele Kinder dürfen nicht mehr als drei Zentimeter Badewasser einlaufen lassen? Es wurde mir immer klarer, dass Tante Jannie ihn auf dem Kieker hatte. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich: Tante Jannie legte es darauf an, meinen Cousin fertigzumachen.
    Irgendwann war klar, dass ich es nicht schaffen würde, noch sehr viel länger dort zu bleiben. Wir alle hatten Angst vor Tante Jannie, jedes Kind aus einem anderen Grund. Die einen fürchteten sich vor körperlichen Züchtigungen, die anderen vor emotionalen Schikanen – und ich konnte schlichtweg nicht mehr.
    Tante Jannie konnte einen einschüchtern, sie war unglaublich gerissen; und bedenkt man, wie es in Arkansas sonst zuging, war sie eine emanzipierte und unabhängige Frau, was auf andere sowohl begeisternd als auch Furcht einflößend wirken konnte. Ich glaube fest, dass meine Tante einmal ein durch und durch guter Mensch war. Wenn die einundzwanzigjährige Jannie sich selbst mit siebenundvierzig begegnet wäre, hätte sie die andere Person sicher nicht erkannt. Sie hatte viel zu geben, doch vielleicht hatten die langen Jahre, in denen Tante Jannie nicht in der Lage war, innezuhalten und über sich selbst nachzudenken, Chaos in ihr angerichtet. Wie lange konnte sich eine Person vollkommen zurücknehmen, als würde sie selbst gar nicht zählen und nichts brauchen, bevor sie durchdrehte? Anscheinend hatten alle in dieser Familie dunkle Geheimnisse. Ich bin sicher, dass Tante Jannie welche hatte. Erinnerungen, die einen zum Monster machen, die irgendwo im Gehirn vor sich hin schwelen und langsam das Herz vergiften.
    Kurz bevor ich bei Tante Jannie auszog, ereigneten sich ein paar merkwürdige Vorfälle. Mein kleiner Cousin war zwar ein wilder Bursche, aber nicht gewalttätig. Er war einfach ein netter kleiner Junge. Umso größer war der Schreck, als dieser nette kleine Junge

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