Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
Vom Netzwerk:
eines Tages mit einem Steakmesser mehr als dreißigmal auf Deans Bett einstach und es regelrecht aufschlitzte. Warum genau, wusste niemand. Gründe für seine Wut und Verbitterung gab es wahrlich genug, doch nie zuvor war mein kleiner Cousin so ausgerastet. Es hatte sich einfach zu viel Druck aufgestaut, nahmen wir an.
    Und dann war da die Sache mit dem Ring – ein im Wortsinn glänzendes Beispiel für die Hackordnung zwischen meinen Cousins. Im Mittelalter wäre mein kleiner Cousin gerade einmal ein Leibeigener gewesen, Dean hingegen ein König. Große breite Goldringe waren zu der Zeit in, und dank irgendeiner Kreditkarte besaß Dean einen besonders glänzenden. Plötzlich jedoch war der Ring verschwunden. So hieß es zumindest. Dann tauchte er wieder auf, und zwar bei einer Mitschülerin meines kleinen Cousins. Was die Mutter des Mädchens dachte, als ihre Tochter mit einem Vierundzwanzigkaräter nach Hause kam, kann man sich vorstellen. Sie telefonierte mit Jane Ann, und Dean drehte durch. Nach diesem Anruf eskalierte die ohnehin angespannte Lage.
    Im Nachhinein weiß ich jetzt, dass es ein Fall von Kindesmisshandlung war, wie mit meinem kleinen Cousin umgegangen wurde, ohne jeden Zweifel. Aber damals dachte ich, Kindesmisshandlung wäre mit sehr viel mehr Gewalt verbunden. Ich glaubte, mein Cousin müsste blaue Flecke haben, sichtbare Striemen, wie bei einer Filmprügelei. Die Kindesmisshandlung, wie sie in Tante Jannies Haus stattfand, war auf unmerkliche Weise einfach da, wie das ständige Brummen eines Kühlschranks, das man gar nicht mehr bewusst wahrnimmt, weil man an das Geräusch gewöhnt ist. Ich bin mit Schlägen auf den Hintern aufgewachsen und hielt das nicht für Misshandlung. Selbst heute noch habe ich das Gefühl, ein paar Klapse auf den Hintern seien nichts Schlimmes, sie seien eigentlich gar keine Schläge. Ich bin dagegen abgestumpft, weil ich diesen ständigen Misshandlungen so lange ausgesetzt war.
    Die Erwachsenen um mich herum sahen tatenlos zu. Die wenigen, die sich einmischten, bekamen Tante Jannies ungebremste Wut zu spüren, die auch gleich härtere Bestrafungen für meinen kleinen Cousin nach sich zog. Mich an das Jugendamt zu wenden kam mir nicht in den Sinn; schließlich war es Teil des Systems, das meine Mutter verteufelt hatte, als sie damals versuchte, sich gegen ihren Vater zu wehren, der sie missbrauchte. Aufgrund dieser Erfahrung glaubte sie nicht, dass es irgendeinem Kind in der Obhut dieses Systems besser ergehen würde, und ich hatte keine Gegenargumente.
    Ãœberflüssig zu betonen, dass die Umstände in Tante Jannies Haus einen geistig und körperlich erschöpften. Etwas Ruhe kehrte ein, als sie ins Krankenhaus zu einer ihrer Routineuntersuchungen musste. Obendrein hatte Jane Ann angefangen, mich anderen Leuten nicht als Verwandte, sondern als eine Art Hausmädchen vorzustellen. »Würdest du den Leuten bitte sagen, dass ich deine Cousine bin?«, bettelte ich. Das Gefühl, kein Zuhause zu haben und nirgendwo erwünscht zu sein, war schon schlimm genug. Aber glauben zu müssen, dass mich meine nächsten Verwandten nicht mehr als Familienmitglied betrachteten, sondern als Mädchen, das für sie sauber machte, war schrecklich.
    Nachdem sie Tom tatsächlich geheiratet hatte, war es furchtbar, bei meiner Mom zu sein. Aber manchmal hatte ich einfach das Bedürfnis, sie zu sehen und etwas Zeit mit ihr zu verbringen. Tante Jannie lag im Sterben, und mitzukriegen, wie es meinem kleinen Cousin und seinen beiden Schwestern erging, machte mich immer hilfloser. Ich verbrachte immer weniger Zeit in Tante Jannies Haus und immer mehr in dem meiner Mutter.
    Ich übernachtete bei Mom, als der Anruf kam. Eine meiner jüngeren Cousinen teilte uns mit, dass Tante Jannie gestorben war. »Oh«, ich schlug die Hand vor den Mund und sah Mom an, die sofort erriet, um was es ging. Wir waren erschrocken. Alles war so schnell gegangen seit dem Ausbruch der Krankheit. Bei der Behandlung der Staphylokokkeninfektion hatten die Ärzte einen Krebsbefall entdeckt, und binnen weniger Wochen war Tante Jannie tot. Es war meine erste echte Verlusterfahrung. Es gab nichts, was ich tun konnte, und weder literweise Crystal Light noch ein Berg schokoladenüberzogener Kirschen konnten sie zurückbringen.
    Ich kehrte ins Haus von Tante Jannie zurück. Ich war mir aber nicht sicher, ob ich ohne sie dort

Weitere Kostenlose Bücher