Hebamme von Sylt
erschrocken vom Bett aufsprang, dass sie ins Straucheln geriet und beinahe hingefallen wäre.
Hanna verabschiedete sich hastig und war trotz ihrer Behinderung schon aus dem Zimmer, ehe die Gräfin die Beanstandung ausgesprochen hatte, die nicht nur für Elisas Ohren, sondern vor allem für Hannas bestimmt gewesen waren. »Ich mag diese Vertraulichkeiten mit dem Personal nicht«, sagte sie und wies auf die Bettdecke genau auf die Stelle, wo Hanna kurz vorher gesessen hatte.
Elisa, die sonst immer aufbegehrte, wenn Hanna kritisiert oder in ihre Schranken verwiesen wurde, schwieg. Sie nickte nur, drehte ihrer Mutter den Rücken zu und suchte in ihrem Nachtkästchen nach einem Taschentuch.
»Hast du geweint?«, fragte die Gräfin streng.
Elisa schüttelte den Kopf. Aber als sie ihrer Mutter das Gesicht zuwandte, sah sie so blass und mitgenommen aus, dass die Gräfin erschrak. »Was ist mit dir?«
»Ich fühle mich nicht wohl«, gab Elisa zurück.
»Dann müssen wir Dr. Nissen kommen lassen! Du musstmorgen aussehen wie das blühende Leben. Das Dinner der Königin! Es könnte über deine Zukunft entscheiden.«
»Am liebsten würde ich zu Hause bleiben«, sagte Elisa. »Ich glaube, ich werde krank.«
Katerina griff an die Stirn ihrer Tochter. »Hast du Fieber?« Aber sie beantwortete die Frage gleich selbst. »Nein! Was ist es dann?«
»Übelkeit, Kopfschmerzen …«
»Alles gleichzeitig?« Die Gräfin ging nervös im Zimmer hin und her. »Hättest du das nicht vorher sagen können? Jetzt ist kein Dienstbote mehr im Haus. Wer soll dir einen Tee kochen?« Sie riss die Tür auf und rief Hannas Namen. »Bist du noch da?«
Hannas Stimme antwortete klein und verzagt, als hoffte sie, nicht gehört zu werden. »Ja, ich bin hier.«
»Sieh nach, ob es in der Küche noch ein Feuer gibt. Die Comtesse braucht einen Beruhigungstee.« Sie drückte die Tür wieder ins Schloss, ohne auf Hannas Antwort zu warten. »Du wirst die Tischdame von Alexander von Nassau-Weilburg sein. Dass du krank zu Hause bleibst, das ist völlig ausgeschlossen.«
»Sonst sagst du immer, ich soll nicht so offen zeigen, wie robust ich bin.«
Die Gräfin betrachtete ihre Tochter, und die Liebe zu Elisa nahm ihr für einen Moment den Atem. Sie sah sich selbst als junges Mädchen im gleichen Alter vor ihrer ersten Begegnung mit Graf Arndt von Zederlitz und glaubte zu wissen, was in Elisa vorging. Vorsichtig ließ sie sich neben ihr nieder, genau dort, wo vorher Hanna gesessen hatte, und legte den Arm um ihre Schultern. Dass Elisa Anstalten machte, von ihr abzurücken, versuchte sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie wusste, dass sie kein Recht hatte, verletzt zu reagieren.
Elisa war Zärtlichkeit nicht gewöhnt. Katerina selbst war von ihrer Mutter niemals umarmt, geküsst oder gehätschelt worden. Liebkosungen verweichlichten ein Kind nur, hatteihre Mutter ihr später erklärt, als sie zum ersten Mal schwanger gewesen war. In ihrem Stand kam es auf Disziplin an, und die konnte nicht dort entstehen, wo geherzt, getröstet oder gar nachgegeben wurde. Doch Katerina konnte sich gut erinnern, dass sie sich an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal Arndt von Zederlitz begegnen sollte, nach dem Zuspruch ihrer Mutter gesehnt hatte und viel dafür gegeben hätte, sich in ihre Arme schmiegen zu dürfen.
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte sie leise. »Aber glaub mir … dein Vater und ich hätten Alexander von Nassau-Weilburg nicht für dich ausgesucht, wenn wir fürchten müssten, dass es dir bei ihm schlecht ergeht. Du bist das Kostbarste, was wir haben, Elisa. Ich werde nie den Moment vergessen, in dem die Hebamme dich in meine Arme legte.« Gräfin Katerina holte tief Luft, um das Schamgefühl wegzuatmen, das sie nicht kannte, weil sie bisher niemals über etwas so Intimes und Primitives wie die Entstehung des menschlichen Lebens gesprochen hatte. »Ich möchte eine glückliche Zukunft für dich. Du sollst so zufrieden sein, wie ich selbst in meiner Ehe geworden bin. Und ich hoffe, dass du nicht so lange auf ein gesundes Kind warten musst wie ich.«
Ein feiner Schmerz zerriss Katerinas Herz, von dem sie wusste, dass er Glück hieß. Und zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, warum sie zugelassen hatte, dass Elisa sich nicht mehr in ihre Arme schmiegte, seit sie dem Kleinkindalter entwachsen war.
»Wir wollen nur dein Bestes«, ergänzte sie hilflos.
Sie spürte, dass Elisa nickte, und genoss das satte Gefühl, etwas pädagogisch Wertloses, aber
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