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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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entschlossen, sich weder von ihr noch von Hanna Boykens Blick irremachen zu lassen.
    Schließlich fragte Hanna: »Sie wollen Geesche nun heiraten?«
    Dr. Nissen nickte. »Wenn sie meinen Antrag annimmt.«
    Hannas kleine Augen musterten ihn mit einer Garstigkeit, die ihm Angst machte. Aber da er sicher war, dass sie genau das beabsichtigte, ließ er sich seine Gefühle nicht anmerken. Er, Dr. Leonard Nissen, sollte sich von einem boshaften jungen Mädchen einschüchtern lassen?
    »Ich werde dafür sorgen, dass aus Ihrer Heirat nichts wird«, sagte Hanna in diesem Augenblick. »Wenn Sie mir das Geld nicht geben, so wie es vereinbart war, bekommen Sie Geesche nicht.«
    Dr. Nissen lachte. »Das steht nicht in deiner Macht.«
    Hanna erhob sich, nahm den Deckel der Teekanne ab, um die Stärke des Suds zu überprüfen, dann goss sie Dr. Nissen den Tee ein. »Haben Sie schon gehört, dass Dr. Pollacsek sämtliche Lohngelder aus dem Tresor gestohlen worden sind?«
    Dr. Nissen nickte erstaunt. »Warum fragst du?«
    Aber Hanna antwortete nicht. Sie wünschte ihm einen guten Appetit und verließ die Küche. Dr. Nissen lauschte auf ihre Schritte. Er rechnete damit, dass sie sich in sein Zimmer begab, um dort für Ordnung zu sorgen, aber er hörte, dass sie indie Wohnstube ging und von dort in den Pesel. Was machte sie da? Am Marzipan naschen? Dr. Nissen wäre ihr gerne gefolgt, um sie heimlich zu beobachten. Aber er dachte diesen Gedanken nicht einmal zu Ende. Hanna Boyken fühlte er sich nicht gewachsen. Vermutlich war es ein Fehler gewesen, ihr das Geld zu verweigern. Es hatte sich nicht gelohnt, sich für diesen winzigen Triumph mit ihr anzulegen. Hanna Boyken durfte man nicht zur Feindin haben.
    Ob es wirklich in ihrer Macht stand, seine Heirat mit Geesche Jensen zu verhindern? Wollte sie verraten, dass er heimlich in den Pesel gegangen war und in die Schublade gesehen hatte, in der Geesche das Marzipan aufbewahrte? Nein, das würde vielleicht für eine Irritation bei Geesche Jensen sorgen, sie aber nicht daran hindern, seinen Antrag anzunehmen, vorausgesetzt, eine Heirat mit ihm kam für sie in Frage.
    Wenn er jetzt in sein Zimmer ging, das Geld herausholte, was nicht nur drei, sondern vier Monatsgehältern ihrer Mutter entsprach und es ihr gab mit den Worten, er habe es nicht so gemeint? Doch Dr. Nissen machte sich keine Illusionen. Hanna Boyken hatte ihren Stolz, sie würde das Geld nicht nehmen. Jetzt nicht mehr! Und er hätte, wenn er es versuchen sollte, seinen eigenen Stolz damit fahren lassen. Was mit dem Stolz geschehen würde, wenn Hanna das Geld ablehnte, mochte er sich gar nicht ausmalen.
    Ein Geräusch kam aus dem Pesel, das Dr. Nissen nicht kannte. Es war nicht durch die Lade entstanden, in der Geesche das Marzipan aufbewahrte, so viel stand fest. Ein neues Geräusch, eins, das er noch nie gehört hatte, das auf Holz entstanden war, begleitet von einem rauen Quietschen, als bewegten sich Scharniere, die lange nicht geölt worden waren, dann ein Rascheln wie von Papier. Er schob die Getreidegrütze zur Seite, ihm war der Appetit vergangen. Warum hatte Hanna den Raub der Lohngelder erwähnt? Dass sie ihm etwas ganz Bestimmtes damit sagen wollte, dessen war er sich sicher. Aber was?
    Dr. Nissen zermarterte sich das Gehirn, kam aber zu keinem Ergebnis. Schließlich verbannte er diese Überlegung mit einem energischen Kopfschütteln aus seinen Gedanken. Viel wichtiger war die Frage, wie es ihm gelingen konnte, Geesche Jensen dazu zu bewegen, seinen Heiratsantrag anzunehmen.
     
    Der Tag war kaum ein paar Stunden alt, da hatte Graf Arndt seine Frau bereits mehrmals belogen. Als sie ihn fragte, wann er am Abend zuvor endlich schlafen gegangen und warum er so lange vor dem Haus auf und ab gegangen sei, hatte er behauptet, er habe sich kurz nach ihr zur Ruhe begeben. Die Abendluft habe ihm gutgetan, danach habe er gut schlafen können. Und als Marinus nicht im Esszimmer erschienen war, hatte er behauptet, sein Bruder habe ohne Frühstück das Haus verlassen, weil er früh zu Vermessungsarbeiten nach Hörnum aufbrechen musste. Als er dann später seinen Strohhut aufsetzte und nach seinem Stock griff, hatte er Katerina weisgemacht, er wolle Dr. Pollacsek seine Aufwartung machen, um ihm sein Mitgefühl wegen des Diebstahls auszusprechen. Das kam der Wahrheit wenigstens nahe. Tatsächlich wollte er zu Dr. Pollacsek, allerdings aus einem anderen Grunde. Er hoffte, dort seinen Bruder anzutreffen. Die ganze Nacht hatte er

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