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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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geahnt haben.«
    Geesche sah ihn erstaunt an. »Nein, sie hat keine Ahnung! Woher auch?«
    »Was für eine Frage!«
    Nun hielt Geesche es nicht mehr auf der Bank. Sie sprang auf, ging vor Marinus hin und her und versuchte, ihn nicht anzusehen, um sich ganz auf ihre Worte, auf ihre Erklärungen und Rechtfertigungen konzentrieren zu können. »Ich konnte nicht widerstehen, als dein Bruder mir das viele Geld anbot. Andrees hätte sich sein eigenes Boot kaufen können. Alles wäre gut geworden. Er wäre wieder glücklich gewesen, und wir hätten heiraten können.« Sie blieb vor Marinus stehen, sah ihm eindringlich ins Gesicht und fragte sich, warum er sie anstarrte wie eine Spukgestalt. »Der Graf liebt seine Frau über alles. Er wollte, dass sie endlich ein gesundes Kind bekam. Natürlich wünschte er sich auch selbst ein gesundes Kind, aber …ich glaube, das Glück seiner Frau ist ihm wichtiger als sein eigenes.«
    Warum starrte Marinus sie an, als hätte sie etwas gesagt, was er noch nicht wusste? Warum wuchs in seinem Blick etwas heran, das wie ein großes Staunen aussah, wie ein plötzliches Verstehen, wie eine jähe Erkenntnis und ein großer Schreck?
    »Hanna ist also wirklich die Tochter meines Bruders?«, fragte er so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
    Aber sie machte sich keine Gedanken darüber, dass seine Stimme zitterte. Sie hörte nur die Bestätigung, den Beweis, dass Graf Arndt tatsächlich das Geheimnis preisgegeben hatte.
    »Ja, aber Freda weiß es nicht. Deswegen versteht sie auch nicht, warum du ihr Geld gegeben hast!«
    Nun erhob auch Marinus sich. So groß, breit und stark stand er vor Geesche, dass sie plötzlich Angst überfiel. Angst vor Marinus? Unmöglich! Angst vor … einem großen Fehler? Vor dem zweiten großen Fehler ihres Lebens?
    »Arndt hatte kein Verhältnis mit Freda Boyken?«, fragte Marinus.
    Nun wusste Geesche, dass es die Angst vor einem großen Fehler gewesen war. Diesmal hatte das Schicksal sie nicht gewarnt, so wie vor sechzehn Jahren. Verzweifelt versuchte sie in Marinus’ Augen zu lesen, wie es zu diesem Fehler gekommen war. Sie verstand seine Frage nicht. »Wie … kommst du darauf?«
    Aber Marinus antwortete nicht. In seinem Gesicht arbeitete es, seine Augen waren voller Fragen und gleichzeitig voller Antworten. Dennoch wusste Geesche, dass er ihr selbst das Antworten nicht ersparen würde. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie aussprechen müssen, was vor sechzehn Jahren, in der Sturmnacht, in der zwei Mädchen geboren wurden, geschehen war. In der Nacht, in der das Schicksal sie gewarnt hatte, in der sie die Warnung in den Wind geschlagen hatte.
    »Als der Graf das verkrüppelte Mädchen sah, war er verzweifelt.Endlich ein Kind, das lebte, das gesund genug war, um zu überleben! Aber mit einer so schweren Missbildung, dass es der Gräfin das Herz gebrochen hätte.«
    Marinus löste sich aus seiner Erstarrung und ließ sich zurück auf die Bank fallen. »Er hat dir viel Geld geboten, damit du die Kinder vertauschst?«
    »Sehr viel Geld.«
    »Elisa ist eigentlich die Tochter eines armen Fischers?« Er stieß einen Seufzer aus, so rau und durchdringend wie ein Schrei. »Und Hanna ist eigentlich eine reiche Comtesse?«
    Er sprang wieder auf, und Geesche sah, dass seine Augen voller Tränen waren. »Wie konntest du so etwas tun? Wie konntest du dich dafür hergeben?«
    »Das Geld hätte Andrees’ Leben gerettet!«, rief Geesche verzweifelt.
    Marinus stürmte an ihr vorbei, blieb dann aber wie angewurzelt stehen und drehte sich zu ihr um. Was war das in seinen Augen? Etwas, was Geesche noch nie gesehen hatte. Hass? Verachtung?
    »Und ich dachte, ich liebe dich«, stieß er hervor. »Wie konnte ich glauben, dass ich so eine Frau lieben kann? Eine Frau, die etwas so Schreckliches tut?« Er sah aus, als wollte er Geesche vor die Füße spucken. »Ich verachte dich. Dich und meinen Bruder!«
    Nun lief er davon, als wäre der Teufel hinter ihm her. Der Haustür gegenüber, dort, wo sich der Steinwall öffnete, wandte er sich noch einmal um und schrie zurück: »Komm mir nie wieder unter die Augen! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!«
    Die Welt hörte auf, sich zu drehen, die Möwen verstummten, der Wind erreichte das hohe Gras zu Geesches Füßen nicht mehr. Das eisige Schweigen in ihrem Innern verhüllte sie, legte sich dann zu ihren Füßen, breitete sich in ihrem Garten aus, schien sie von der ganzen Insel zu trennen. Das Schweigenhatte erst ein Ende, als

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