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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Täter gefunden zu haben, und auf der Insel hatte sich mittlerweile alles gegen Geesche verschworen. Die Arbeiter der Inselbahn ließen kein gutes Haar an ihr, und viele andere hatten inzwischen eingestimmt. Denn wenn Geesche auf ehrliche Weise an das viele Geld gekommen war, warum verriet sie dann nicht, woher sie es hatte? Der Kurdirektor war mittlerweile der Einzige, der noch daran glaubte, dass man Geesche Jensen bald entlassen würde. Deshalb hatte er Marinus Rodenberg gekündigt, so wie Dr. Nissen es gefordert hatte. »Dann können Sie heiraten und in Geesche Jensens Haus eine Arztpraxis eröffnen.«
    Dr. Nissen stöhnte auf. Sein schöner Plan hatte eine Eigendynamik bekommen, die er nicht hatte voraussehen können. Dr. Pollacsek verstand natürlich nicht, worum er sich sorgte. »Wenn Sie die Praxis nicht in Geesche Jensens Haus einrichten, dann eben in einem Haus in der Strandstraße oder in der Friedrichstraße. Ist vielleicht sowieso besser! Die entsprechenden Räumlichkeiten werde ich Ihnen schon beschaffen. Zum Glück sind Sie ja ein Mann mit finanziellen Mitteln! Und natürlich werde ich Ihnen so weit wie möglich entgegenkommen. Unsere Insel braucht einen Arzt!«
    Pollacsek hatte ja keine Ahnung!
    Leonard Nissen stutzte, sein Kopf fuhr vor. Was war das da am Ende des Weges? Eine Bewegung! Da kämpfte jemand gegen Sturm und Regen an, quälte sich Schritt für Schritt voran, hielt immer wieder an, schleppte sich dann weiter. Eine Frau! Eine schwangere Frau! Sie krümmte sich, suchte nach einem Halt, den es nicht gab, verlor das Gleichgewicht, fiel zu Boden …
    Dr. Nissen lief in den Flur und riss die Haustür auf. Der Sturm heulte herein, gierig, mit langen Fingern, die nach allem griffen, was leicht und schutzlos war. Er zog die Tür eilig hinter sich ins Schloss und lief der Frau entgegen. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, sein Hemd war im Nu durchnässt. Das Schreien der Frau wurde ihm vom Wind entgegengetragen, es verstummte gerade in dem Moment, als er bei ihr ankam und sich neben sie kniete. Sie kehrte aus einer Welt zurück, in der es finster und kalt, in der sie orientierungslos, schutzlos und verlassen gewesen war. Und sie wusste, dass sie dorthin immer wieder zurückkehren musste. Noch viele Male.
    Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie Dr. Nissen an. »Ich muss zur Hebamme.«
    Er half ihr auf die Beine. »Komm! Es ist nicht mehr weit.«
    Er richtete die Frau auf, stellte sie auf die Beine, dann griff erihr unter die Arme und sorgte dafür, dass sie einen Schritt vor den anderen setzte. Wenn die nächste Wehe kam, mussten sie im Haus sein.
    Aber sie schafften es nicht. Schon bald versteifte sich der Körper der Frau erneut, sie klammerte sich an ihn, schrie ihm zu, er solle ihr helfen, beschimpfte ihn, weil er nichts anderes tat, als sie zu halten und mit ihr zu warten, dass der Schmerz vorüberging … dann half er ihr, die letzten Schritte zu tun.
    Als er sie ins Haus gedrängt hatte, blieb sie stehen und sah sich um. »Ich will zur Hebamme.«
    »Die ist nicht da.«
    Wieder begann sie zu schreien, diesmal vor Angst. »Ich brauche sie.«
    Dr. Nissen kämpfte die Atemnot herunter, unter der er immer litt, wenn er unter großer Anspannung war. Dann sagte er ruhig: »Mach dir keine Sorgen. Ich bin Arzt. Ich kann dir auch helfen.«
    Er führte sie ins Gebärzimmer, wo nach jeder Geburt stets alles vorbereitet wurde auf die nächste. Die Frau war noch sehr jung, keine zwanzig, und dies war vermutlich ihr erstes Kind. Sie war mager mit großen, hungrigen Augen und hatte sich einen löchrigen Umhang über das Kleid gelegt, dessen Knöpfe sich nicht mehr schließen ließen. Ein altes Kleid, verschlissen und mehrfach geflickt. Woher kam sie? Warum wusste sie nicht, dass die Hebamme im Gefängnis saß und ihr nicht helfen konnte?
    »Wie heißt du?« Er nahm ihr den Umhang ab und schob sie zu dem Strohballen in der Mitte des Raums, über den Geesche ein sauberes weißes Laken gebreitet hatte.
    »Fenna.«
    »Woher kommst du?«
    Fenna antwortete nicht.
    »Du wohnst nicht in Westerland?«
    Sie schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Die nächste Weheschien sogar willkommen zu sein. Sie ließ sich auf den Strohballen fallen und schrie, damit sie Dr. Nissen keine Antwort geben musste.
    Ihm wurde unterdessen klar, was es mit Fenna auf sich hatte. »Du gehörst zu den Strandräubern?« Er tat so, als interessierte ihn ihre Antwort nicht. »Zieh dich aus!«
    Wieder begann sie zu schreien, diesmal vor

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