Hebamme von Sylt
Majestät«, sagte sie mit einem Lächeln, das genau richtig für eine glückstrahlende Braut war, »dass Sie unserer Verlobung zustimmen.«
Sie lächelte Alexander an und wusste, dass sie für jemanden, der von draußen hereinblickte, ein harmonisches Bild abgaben.
Dr. Nissen warf einen Blick ins Gebärzimmer und stellte fest, dass Fenna noch immer tief schlief. Auch das Neugeborene schlummerte, die Fäustchen an die Wangen gedrückt. Ein Bild des Friedens! Wann würde dieses Kind zu spüren bekommen, dass der Sohn eines Strandräubers nirgendwo seinen Frieden finden konnte?
Wieder ging er in die Küche zurück und betrachtete sehnsüchtig die Teekanne, die neben der Feuerstelle stand. Er hatte sich noch nie selbst Tee zubereitet. Obwohl er Geesche oft dabei zugesehen hatte, glaubte er nicht, dass er es ohne Hilfeschaffen würde. Und er fühlte sich unfähig, es zu versuchen. Gegen jede Vernunft hoffte er, dass Freda nach ihm sehen würde und er sie dann nicht nur um einen Tee, sondern auch um die Betreuung von Mutter und Kind bitten könnte. Dann würde er sich schleunigst in die Gesellschaft von Gleichgesinnten begeben und sich umhören, welche Meinungen über Geesche Jensens Verhaftung in Umlauf waren. Freda würde ihm auch raten können, was mit Fenna und ihrem Baby passieren sollte. Im Laufe der nächsten Tage mussten die beiden das Haus der Hebamme verlassen. Aber wohin? Wo hatte Fenna ein Zuhause?
Sein Blick fiel auf ein Regalbrett, auf dem Geesche Teedosen und einige Flaschen ihres selbst gemachten Likörs aufbewahrte. Außerdem lag dort ein in Leder gebundenes Buch. Das hatte sie zur Hand genommen, als vor ein paar Tagen der Sohn eines Kapitäns geboren worden war, und fein säuberlich alle Umstände der Geburt darin vermerkt, den genauen Zeitpunkt, das Gewicht des Kindes, seine Größe, den gesundheitlichen Zustand der Mutter. Jede Hebamme war verpflichtet, ein solches Buch zu führen.
Dr. Nissen stand auf und holte es herunter. Direkt unter der letzten Eintragung notierte er die Geburt eines Jungen. Die genaue Uhrzeit konnte er angeben, ihn zu wiegen und zu messen, hatte er versäumt. Aber das ließ sich am nächsten Morgen nachholen.
Gedankenvoll blätterte er zurück. Viele Geburten waren in diesem Buch vermerkt, jedes Jahr zwanzig bis dreißig, mal mehr, mal weniger. Schon die Tätigkeit von Geesches Mutter war hier dokumentiert. Sie hatte bereits als Hebamme auf Sylt gearbeitet, Geesche war bei ihr in die Lehre gegangen und hatte schließlich den Beruf Arbeit weitergeführt. Ihre Schrift war zunächst unsicher gewesen, als habe sie die Eintragung direkt nach der Geburt vorgenommen, mit noch zitternden Händen nach anstrengenden Stunden. Manchmal war sie auchbesonders steil und aufrecht, sorgfältig einen Buchstaben neben den anderen gesetzt, im Bewusstsein ihrer Bedeutung. Im Lauf der Jahre war die Schrift immer flüssiger geworden, die Arbeit war Geesche immer leichter von der Hand gegangen. Nur wenn eine Geburt unglücklich geendet hatte, war ihrer Schrift wieder die Gemütsbewegung anzusehen. Einmal war eine junge Mutter gestorben, dann war das Baby tot zur Welt gekommen, ein weiteres Mal hatte man sie zu spät zu einer Gebärenden gerufen, und sie hatte nichts mehr ausrichten können.
An einer Eintragung, die Geesche vor gut sechzehn Jahren gemacht hatte, blieb sein Blick schließlich hängen. Und er wusste auch gleich, warum. Alle Eintragungen waren sorgfältig gemacht worden, ohne nachträgliche Verbesserungen, an dieser Stelle jedoch hatte Geesche unsauber gearbeitet. Irgendeinen Fehler hatte sie gemacht, den sie mit viel Mühe und Akribie zu korrigieren versucht hatte, was ihr aber nicht gut genug gelungen war.
Dr. Nissen hielt das Buch unter die Petroleumlampe, drehte sie etwas heller, damit er noch besser sehen konnte, ließ das Licht mal von links auf das Buch fallen, mal von rechts, stellte dann fest, dass er am besten sehen konnte, wenn es von hinten auf die Seite fiel. Zwei Mädchen waren etwa zur gleichen Zeit in diesem Haus zur Welt gekommen, und Geesche hatte die Namen der beiden Kinder zunächst vertauscht. Was für ein markanter Fehler! Dann aber hatte sie anscheinend den Irrtum erkannt und korrigiert. Eins der Mädchen war mit einer Missbildung geboren worden, während das andere gesund zur Welt gekommen war.
Dr. Nissen schob das Buch zur Seite, drehte die Petroleumlampe wieder kleiner und lehnte sich zurück. Still wurde es plötzlich in Geesche Jensens Küche, das
Weitere Kostenlose Bücher