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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Hauses stand eine Kutsche. Der Kutscher saß noch auf dem Bock, als erwartete er seine Herrschaft bald zurück. Marinus wunderte sich. Die Zeit für einen Besuch war eigentlich noch nicht gekommen, und seine Schwägerin schätzte es nicht, beim Frühstücken gestört zu werden. Normalerweise empfing sie keinen Gast vor zwölf Uhr, nur gute Freunde und Familienangehörige durften sich schon um elf anmelden. Wenn sie in diesem Fall eine Ausnahme gemacht hatte, musste es ich um einen sehr willkommenen Gast handeln.
    Hanna kam gerade aus dem Haus gehumpelt, mit eine überdimensionalen Blumenvase in den Armen, die ihre ganze Kraft und Aufmerksamkeit verlangte. Und da sah Marinus auch den Rosenstrauß, den Katerina in den Armen hielt. Auf ihrem Gesicht lag das Lächeln, das sie aufsetzte, wenn ihr etwas gut gelungen war. Und auch Arndt sah sehr zufrieden aus. Elisa dagegen wirkte ein wenig ratlos. In ihrem Lächeln lag kein Glück, sondern eine Frage, die Marinus sich nicht erklären konnte. Für Fürst Alexander schien es jedoch nur Antworten zu geben. Er strahlte Behagen und Fröhlichkeit aus.
    »Setz dich zu uns, Marinus«, sagte Katerina. Und da sie weder etwas von dem Konflikt zwischen Arndt und seinem Bruderwusste noch davon, dass Marinus seine Arbeitsstelle bei der Inselbahn verloren hatte, fügte sie arglos hinzu: »Endlich hast du mal wieder Zeit, mit uns zu frühstücken.«
    »Und heute Abend wird gefeiert«, ergänzte Arndt und sah seinen Bruder an, als wollte er ihn bitten, seine Pläne für die kommende Nacht zu vertagen.
    »Der Fürst hat um Elisas Hand angehalten«, erklärte Katerina feierlich. »Wir werden Verlobung feiern.«
     
    Am frühen Nachmittag war ein Gewitter aufgezogen. Der Himmel hatte sich verdunkelt, ein heftiger Wind war aufgekommen, prasselnder Regen folgte. Dr. Nissen stand am Fenster und sah hinaus. Er fühlte sich schlecht, ihm bekam das Alleinsein nicht. Nervös strich er sich über seinen Schnauzer, während er von einem Fenster zum anderen ging, als könnte der Himmel von der Küche aus anders aussehen als von der Wohnstube und der Regen vor dem Fenster seines Fremdenzimmers heftiger niederfallen als vor allen anderen. Von einem Zimmer zum anderen ging er, sogar die Tür zum Gebärzimmer öffnete er, als käme es darauf an, dort nach dem Rechten zu sehen. Ruhelos war er, unfähig, diese Zeit des Alleinseins mit einer sinnvollen Tätigkeit zu füllen.
    Natürlich wäre es richtig, Geesche zu besuchen, aber Dr. Nissen wusste, dass er es auch nicht getan hätte, wenn das Wetter warm und trocken und der Weg zum Gefängnis ein angenehmer Spaziergang gewesen wäre. Geesche in einer Gefängniszelle zu sehen ging über seine Kräfte. Was würde aus ihr werden? Wollte er unter diesen Umständen überhaupt auf Sylt bleiben? Genauso gut könnte er aufs Festland zurückkehren und den Traum vom einfachen Leben auf der Insel begraben. Ohne Geesche ergab das alles keinen Sinn. Wenn sie wegen Diebstahls verurteilt wurde, konnte es lange dauern, bis sie in ihr Haus zurückkehren durfte. Und das Urteil war so gut wie gewiss. Solange sie nicht erklären konnte, woher das viele Geldstammte, würde auch ein Richter davon ausgehen, dass es gestohlenes Geld war.
    Nun färbte sich der Himmel gelb, ein gewaltiger Sturm erhob sich, der vom Meer herüberjagte, warm, aber mörderisch. Der Regen jedoch, den er vor sich hertrieb, war kalt. Dr. Nissen war in den Garten gegangen, weil er nachsehen wollte, ob die Stalltür geschlossen war, hatte sich aber gleich wieder ins Haus zurückgezogen.
    Der erste Blitz zuckte, das Donnern ließ nicht lange auf sich warten. Blätter und Papierfetzen wurden über den Weg getrieben; wer unterwegs war, hatte schleunigst irgendwo Schutz gesucht. Keine Menschenseele war zu sehen. Dr. Nissen bereute, dass er nicht rechtzeitig aufgebrochen war. Dann könnte er jetzt im »Dünenhof«, im »Strandhotel« oder im Conversationshaus sitzen und in angenehmer Gesellschaft das Ende des Gewitters abwarten. Doch es war zu spät. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als hier in Geesches Haus darauf zu warten, dass der Regen aufhörte und der Wind sich legte.
    Sein Blick wurde blind, er starrte ins Leere und dachte an Geesche. Wann würde er sie wiedersehen? Dr. Pollacsek war nach wie vor der Ansicht, dass sie bald wieder in Freiheit sein würde. Das Geld, das Hanna in ihrer Truhe gefunden hatte, war kein Beweis dafür, dass sie die Lohngelder gestohlen hatte. Doch Heye Buuß war froh, einen

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