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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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einzubeziehen, behandelte sie jetzt so, wie die meisten Dienstboten behandelt wurden: Die Herrschaft übersah sie, wenn sie gerade nicht gebraucht wurden.
    Hätte Elisa sie nur eines einzigen Blickes gewürdigt, wäre es Hanna möglich gewesen, sie auf die Kutsche aufmerksam zu machen, die auf das Haus zufuhr. So aber blickte Elisa erst auf, als das Klappern der Pferdehufe zu hören war. Die Comtesse wollte aufspringen, um zu sehen, wer der Besucher war, der ihnen ihre Aufwartung machen wollte, aber Gräfin Katerina zog sie sanft auf die Bank zurück. Hanna konnte von ihren Lippen ablesen, was sie sagte: »Wir sind nicht neugierig.«
    So senkte Elisa ihren Blick und sah auf ihren Teller, als hörte sie das Rumpeln der Kutsche nicht. Sie blickte erst wieder auf, als die Räder vor dem Tor zum Stehen gekommen waren und auch ihre Eltern ein vornehmes Interesse an dem Besuch erkennen ließen.
    Aber sehen konnten sie den Gast noch nicht, das wusste Hanna genau. Sie hatte die bessere Position und konnte beobachten, dass es Fürst Alexander von Nassau-Weilburg war, der ausstieg. Roluf, der Kutscher, sprang vom Bock, beugte sich in das Innere der Kutsche und brachte etwas zutage, was Hanna den Atem nahm: einen riesigen Strauß roter Rosen. Hanna wusste, dass diese edlen Blumen so hießen, obwohl sie nichts mit den Sylter Rosen gemein hatten, die auf den Steinwällen wuchsen. Sie hatte Bilder von langstieligen Rosen gesehen, an deren Enden nur eine einzige üppige, duftende Blüte saß, und die Verzierung in Form dieser Rosenblüte auf Geesches Marzipanherzen. Aber sie wusste auch, dass es auf der Insel diese Rosen nicht gab. Fürst Alexander musste es gelungen sein, sie vom Festland kommen zu lassen. Und Hanna wusste, dass es dafür nur einen einzigen Grund gab …
     
    Marinus war schon vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Auf keinen Fall wollte er in der Nähe des Gefängnisses gesehen werden. Auch die Bauern, die nach Sonnenaufgang zu ihren Feldern unterwegs waren, sollten ihn nicht zu Gesicht bekommen. In dieser Gegend fiel ein Mann wie er sofort auf, wenn er auch in Arbeitskleidung unterwegs war und damit zu erkennen gab, dass er nicht zu den Sommerfrischlern gehörte. Er unterschied sich trotzdem gründlich von den Syltern, die hier lebten. Und später sollte niemand sagen, er hätte Interesse an dem Gefängnis gezeigt.
    Als er auf hundert Schritte herangekommen war, sah er sich vorsichtig um. Die Nacht war grau geworden, der Morgen stieg am Horizont auf, die Konturen der Dünen wurden schärfer,Marinus konnte seine Umgebung nun gut erkennen. Niemand war zu sehen. In den Hütten, die in der Nähe standen, regte sich nichts. Aber das würde sich bald ändern. Er durfte keine Zeit verlieren. Wenn es ernst wurde, musste er wissen, was ihn erwartete.
    So geräuschlos wie möglich pirschte er sich von hinten an das düstere Gemäuer heran. Wo die Zellen der Gefangenen waren, konnte er schnell erkennen. Sie hatten winzige Fenster, die vergittert und so hoch angebracht waren, dass er nicht hineinblicken konnte. Aber dass sie alle, trotz der warmen Nacht, geschlossen waren, konnte er sehen.
    Ein widerlicher Gestank stieg ihm in die Nase. Woher er kam, war leicht auszumachen. Über dem Jaucheloch am Ende des Grundstücks stand ein dichter Schwarm von Fliegen. Einige verirrten sich zu ihm, angewidert schlug er sie weg.
    Dann ging er um das Haus herum zur Vorderseite, wo es eine schwere Tür gab. Aber er griff nicht nach der Klinke. Dass der Wärter diese Tür verriegelt hatte, stand für ihn außer Frage. Er würde einen anderen Weg suchen müssen, um zu Geesche vorzudringen. Am besten war es vermutlich, den Gefängniswärter zu übertölpeln. Der Mann war bestechlich, das wusste er inzwischen, aber noch nie hatte er einen Gefangenen fliehen lassen. Marinus musste es also anders versuchen. Geld und Geschenke würde ihm nicht weiterhelfen.
    Er blieb stehen und lauschte. Durch ein Fenster, das es neben der Eingangstür gab, so hoch und vergittert wie die Fenster der Gefängniszellen, drang lautes Schnarchen. Dahinter musste der Gefängniswärter wohnen. Nermin hieß er, auch das hatte Marinus herausgefunden. Das Fenster hinter dem Gitter war geöffnet, der Wärter genoss die frische Luft, die er Geesche nicht zugebilligt hatte. Dieser Gedanke erzeugte die Wut in Marinus, die er für die Ausführung seines Plans brauchte. Eigentlich hasste er Gewalt und hatte sogar bisher geglaubt, unfähig zu sein, einen Mann niederzuschlagen,

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