Hebt die Titanic
mit Strickleiter oder Förderkorb. Jedenfalls muß Doc Bailey so schnell wie möglich auf Deck kommen, um den äußeren Lukendeckel der Deep Fathom zu öffnen und die Männer aus dieser Todesfalle zu befreien.«
»An uns soll es nicht liegen«, sagte Giordino. »Wir sind schon fast gestartet.« Er war schon durch die Tür, bevor Pitt seinen nächsten Befehl an Spencer geben konnte. »Rick, mach die Dieselpumpen für den Transport zum Wrack hinüber fertig. Falls da irgendwelche Lecks sind, müssen die Pumpen so schnell wie möglich einsatzbereit sein.«
»Wir werden Schneidbrenner brauchen, um die Ansaugschläuche ins Wrack zu leiten«, sagte Spencer erregt.
»Dann kümmer dich darum.«
Pitt wandte sich wieder dem Sonargerät zu. »Wie ist die Steiggeschwindigkeit?«
»Zweihundertfünfzig Meter pro Minute«, meldete der Sonartechniker.
»Zu schnell«, sagte Pitt beunruhigt.
»Das wollten wir gerade verhindern«, brabbelte Sandecker an seiner Zigarre vorbei. »Die Kabinen sind mit Luft überfüllt, und jetzt steigt sie unkontrollierbar schnell zur Oberfläche.«
»Hoffen wir, daß sie nicht zu hoch aus dem Wasser schnellt und dann kentert«, sagte Pitt.
Sandecker blickte ihm in die Augen. »Das wäre auch das Ende der Männer in der Deep Fathom.« Wortlos wandte der Admiral sich ab und verließ mit den meisten anderen den Kommandoraum.
Nur Pitt blieb zurück und fragte den Sonartechniker: »Wie weit ist sie jetzt.«
»Sie passiert gerade die 2400-Meter-Markierung.«
»Woodson meldet sich!« rief Curly. »Er sagt, das Wrack ist gerade mit ganz schönem Auftrieb an der Sappho II vorbeigeschossen.«
»Sag ihm, er soll hochtauchen. Gib die gleiche Meldung an die Sea Slug und Sappho I durch.«
Jetzt blieb auch für ihn hier nichts mehr zu tun. Er verließ also den Kommandoraum und stieg die Leiter an der Backbordseite der Kommandobrücke zu Sandecker und Gunn hinauf.
Gunn hob gerade den Telefonhörer ab. »Sonar, hier spricht Gunn. Kommen.«
»Sonar hört.«
»Ist ungefähr abschätzbar, wo sie auftauchen wird?«
»Sie sollte ungefähr sechshundert Meter backbord heckwärts hochkommen.«
»Wann?«
Keine Antwort.
»Wann?« wiederholte Gunn.
»Ist es jetzt recht, Kommandant?«
Im selben Moment begann die Oberfläche wie kochendes Wasser zu sprudeln und Blasen zu schlagen, und im Licht der Nachmittagssonne brach das Heck der Titanic wie ein riesiger Wal empor. Zwei Sekunden lang schien der Höhenflug des Hecks ungebrochen. Es war ein atemberaubender Anblick, als dann die gewaltige Heckpartie des Wracks einen Moment lang – bis etwa zur früheren Höhe des zweiten Schornsteins – in der Schwebe verharrte und die Luft aus den Druckminderungsventilen den Rumpf mit Fontänen von Wasserdampf übersprühte. Schwerfällig senkte sich dann das Heck und prallte mit solcher Gewalt ins Wasser zurück, daß eine drei Meter hohe Woge auf die Schiffe in der Umgebung zurollte. Das Heck versank scheinbar unaufhaltsam. Die vielen Beobachter hielten unwillkürlich den Atem an, als sich das Wrack gleichzeitig nach steuerbord zur Seite senkte. Dreißig Grad fünfunddreißig vierzig – fünfundvierzig – fünfzig Grad: in dieser prekären Schräglage schien die Titanic eine kleine Ewigkeit zu verharren. Alle bangten dem Augenblick entgegen, in dem sie vollends kentern würde. Doch dann begann die Titanic sich quälend langsam wieder aufzurichten: zögernd behutsam Fuß um Fuß, bis der Rumpf nur noch eine Schlagseite nach steuerbord von zwölf Grad hatte… und in dieser Lage blieb sie.
Zuerst brachte keiner ein Wort hervor. Alle standen noch ganz unter dem Eindruck jenes einmaligen Naturschauspiels. Der riesige Schiffskörper war aus seinem Tiefseegrab nach sechsundsiebzig Jahren wie ein Meeresungeheuer ans Tageslicht emporgebrochen.
Pitt konnte als erster wieder sprechen. »Sie hat es geschafft«, sagte er sehr leise.
»Wirklich und wahrhaftig«, bestätigte Gunn sanft. Das Knattern der Rotors brach den Bann der Stille, als der Hubschrauber von der Capricorn in den Wind hinein startete und dann zum Vorderdeck des geborgenen Wracks kurvte. Der Pilot hielt den Hubschrauber knapp einen Meter über dem Deck in der Schwebe, und fast sofort waren zwei punktkleine Gestalten zu erkennen, die aus der Seitentür der Kabine sprangen.
Giordino kletterte die Leiter zur Luke empor und stellte erleichtert fest, daß das Tauchboot von außen unversehrt wirkte. Dann stand er breitbeinig auf dem abgerundeten, schlüpfrigen Deck und
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