Hebt die Titanic
griff nach dem Handrad des Lukendeckels. Die Speichen waren eiskalt – das Rad scheinbar unbeweglich.
»Mann, beeil dich!« rief Doc Bailey hinter Giordino. »Jede Sekunde ist wichtig!«
Giordino holte tief Atem und setzte die ganze Muskelkraft seines breitschultrigen Oberkörpers ein, um das Rad zu bewegen. Es ruckte einen Zollbreit herum. Er versuchte es noch einmal und schaffte diesmal eine halbe Drehung. Danach begann es sich endlich leichter zu drehen, als die Luft aus dem Tauchboot zischend entwich und der Druck gegen die Luke schwächer wurde.
Das Handrad erreichte den Anschlag, und Giordino schwang die Luke auf und spähte in die Dunkelheit hinunter. Ein schaler, muffiger Geruch hauchte ihm entgegen. Sein Herz krampfte sich zusammen, als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und er sah, daß das Wasser bis knapp einen halben Meter unter der Kabinendecke stand. Dr. Bailey schob Giordino beiseite, zwängte seinen massigen Körper durch die Luke und stieg die Innenleiter hinunter. Das eisige Wasser hemmte seine Bewegungen und ließ ihn erschauern. Er stieß sich von den Leitersprossen ab und hangelte sich nach hinten weiter, bis er die Kojen erreicht harte. In der matten Dämmerung tastete er zuerst über eine Schulter und berührte dann ein kaltes Gesicht.
Bailey beugte sich vor, bis das Gesicht in der Dunkelheit nur einen Zollbreit von ihm entfernt war. Er tastete nach dem Puls, aber seine Finger waren gefühllos von dem eisigen Wasser. So konnte er nicht feststellen, ob der Mann noch am Leben war. Doch inzwischen hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte erkennen, daß die Lider bebten und die Augen sich öffneten. Und eine Geisterstimme schien zu raunen: »Geh weg – hab’s dir doch gesagt – ich hab heute dienstfrei.«
»Brücke?« Curlys Stimme klang krächzend heiser aus dem Lautsprecher.
»Hier ist die Brücke«, antwortete Gunn. »Soll ich die Brücke jetzt mit dem Hubschrauber verbinden?«
»Ja, bitte. Ende.«
Es trat eine kurze Pause ein und dann tönte die Stimme des Hubschrauberpiloten rauh und verzerrt aus dem Lautsprecher. »Capricorn, hier spricht Leutnant Sturgis.«
»Kommandant Gunn, Leutnant. Höre laut und klar. Bitte kommen.«
»Dr. Bailey st in die Deep Fathom gestiegen. Bitte warten.« Die Pause bot Gunn und Pitt Gelegenheit, nach all der Erregung des ersten Auftauchens die Titanic richtig zu mustern.
Ohne ihre Schornsteine, Mäste und Rettungsboote sah sie kahl und häßlich aus. Die seitlichen Stahlplatten waren übersät mit Flecken von Rost und Verwitterung, durch die jedoch der schwarzweiße Anstrich des Rumpfs und der Aufbauten noch immer durchschimmerte. Der schwimmende Palast von einst wirkte verwahrlost und ausgeplündert wie eine verfallene Luxusvilla. Die Luken und Fenster waren mit dem häßlichen Grau des Feuchtstahls bedeckt, und die früher im warmen Glanz schimmernden Teakholz-Decks waren ausgeblichen und mit langen, verrosteten Kabelsträngen übersät. Die leeren Rettungsboot-Davits ragten in ihrer Nutzlosigkeit mitleiderregend kahl empor. Und trotz all dieser Zeichen des Verfalls bot das Wrack einen Anblick von unerklärlicher Erhabenheit.
»Capricorn, hier Sturgis. Bitte kommen.«
»Wir hören. Kommen.«
»Giordino hat mir gerade mit Fingerzeichen signalisiert, daß Merker, Kiel und Chavez noch am Leben sind.« Ein merkwürdig andächtiges Schweigen folgte. Dann trat Pitt an ein Schaltbrett und drückte auf den Sirenenknopf. Das ohrenbetäubende Dröhnen schallte über das Wasser. Die Sirene der Modoc antwortete, und schließlich wurde der Chor vervollständigt durch die Monterey Park, die Alhambra und die Bomberger. Rings um die Titanic erfüllte ein schriller und mißtönender, aber triumphierender Chor von Sirenen und Schiffspfeifen aller Klangfarben die Luft über dem Meer. Die Juneau kam nun auch herangerauscht und übertönte die wilde Kakophonie mit einem Salutschuß aus ihrer Achtzollkanone wie mit einem Paukenschlag.
Es war ein Erlebnis, das keiner der Anwesenden je in seinem Leben vergessen würde. Sogar der sonst so unerschütterliche Pitt konnte ein Gefühl von Rührung nicht unterdrücken. Die ungeheuerliche und wahnwitzig kühne Bergungstat war nun doch gelungen.
49
Gene Seagram saß in seinem Wohnzimmer und spielte mit Selbstmordgedanken. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag ein Colt-Revolver, und von Zeit zu Zeit tasteten Seagrams Finger über das glatte, kühle Metall des Laufs, als wollte er sich
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