Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
nur ungebildete Geldhaie sind, sondern eine Künstlerseele haben …«
»Nicht anders als die Adligen der Renaissance«, meinte Hector.
»Ja«, sagte der alte François lachend, »da haben Sie wohl recht.«
Sie nahmen jeder ein Glas Champagner von dem Tablett, das ihnen ein weiß gekleideter Kellner hinhielt, und gleich darauf kam ein zweiter Kellner vorbei, der ihnen kleine warme Häppchen mit Flusskrebsen und Spargel anbot.
Hector genoss diesen Augenblick und fragte sich doch zugleich, wann Ophélie auftauchen würde und ob der alte François etwas von ihrem Verhältnis ahnte. Bei diesem Gedanken leerte er schnell sein Glas und griff sofort nach einem neuen.
Er spürte, dass ihn jemand beobachtete, und tatsächlich – in ein paar Schritten Entfernung, am Fuße eines Brokkolikopfes, der aus einem schwach glitzernden grünen Material gemacht und so groß wie ein kleiner Baum war, erblickte er seine Patientin Olivia.
Hector nickte ihr diskret zu, um ihr zu zeigen, dass er sie nicht hochnäsig übersah, aber trotzdem nicht erwartete, dass sie miteinander sprachen. Das war eine der Regeln seines Faches, um in der Öffentlichkeit das Berufsgeheimnis zu wahren, gerade als Psychiater. Im Allgemeinen sind die Leute ganz entzückt, wenn sie dem Bekanntenkreis ihren Chirurgen vorstellen können (»Das ist der Mann, der mir das Leben gerettet hat!«) oder ihren Hausarzt (»Unser Familiendoktor und zugleich ein guter Freund …«), aber ihren Psychiater präsentierten sie nur selten gern (»Der Mann, der mich daran gehindert hat, Riesendummheiten anzustellen!«).
Aber Olivia kam nun von selbst auf die beiden Ärzte zu. Hector hatte sie gewöhnlich sitzen sehen, und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie groß sie war – eine richtige Bohnenstange, aber auch wirklich reizend mit ihrem Blick eines empörten Teenagers, ihren Ohrringen aus der Dritten Welt und ihrem langen Kleid im Hippie-Look.
»Guten Abend, Doktor, ich wusste gar nicht, dass Sie sich für zeitgenössische Kunst interessieren …«
Hector stellte sie dem alten François vor und sagte ihm, dass sie Kunstlehrerin sei. Woher er sie kannte, erläuterte er nicht weiter, aber er spürte, dass sein alter Kollege es sofort erraten hatte.
»Ah, da werden wir etwas über die Sichtweise einer Kennerin erfahren!«, meinte der alte François. »Ich habe mir schon gesagt, dass dieser Künstler wenigstens ein Verdienst hat: Er meidet die beiden großen Klischeethemen der heutigen Kunst – Sex und Tod. Wie denken Sie darüber?«
Olivia lächelte, sichtlich bezaubert von der Aufmerksamkeit, die der alte François ihr schenkte.
»Hier, ich habe dir ein Glas mitgebracht … Oh, guten Abend, Doktor.« Das war Tristan, so elegant wie immer. Er war gerade mit einem Glas Champagner für Olivia vom Büfett gekommen.
Olivia zwinkerte Hector fast unmerklich zu.
Und sofort musste er daran denken, was sie ihm in der Sprechstunde gesagt hatte: »Ein Mann, der sich um mich kümmert …«
Der einzige unregulierte Markt
Und dann hatte Ophélie ihren Auftritt, und Hectors Herz machte einen kleinen Sprung in seiner Brust, als sie erst ihren Großvater küsste und dann ihm selbst die Wange hinhielt, als wären sie einfach nur gute Freunde.
Sie war schön wie der Tag und benahm sich völlig ungezwungen. Sogleich begann sie sich mit Olivia und Tristan zu unterhalten und erklärte ihnen, welch großer Erfolg es für die Galerie war, einen so berühmten Künstler gewonnen zu haben.
Die Tabletts mit den Champagnergläsern schwebten weiterhin kreuz und quer durch den Raum, und plötzlich musste Hector daran denken, wann er das letzte Mal zu viel getrunken hatte: während des Diners bei Robert und Denise.
Wie sehr sich sein Leben seit diesem Abend verändert hatte, auch wenn es vordergründig dasselbe geblieben war!
Er stand jetzt neben Tristan, der ihm vertraulich zuraunte: »Das hier ist die Zukunft. Meine jedenfalls.«
Hector dachte erst, er meinte Olivia, aber nein – jedenfalls nicht nur, denn Tristan fuhr fort: »Zeitgenössische Kunst ist der einzige unregulierte Markt.«
Und dabei blickte er Hector an, als wollte er prüfen, ob der auch die Tragweite dieser Information begriffen hatte.
»Tatsächlich? Was wollen Sie damit sagen?«
»Hier darf man noch alles, was in der Finanzwelt verboten ist und bestraft wird, wenn man sich erwischen lässt: Insiderhandel, Interessenkonflikte, Preismanipulation – hier ist das erlaubt oder jedenfalls leicht zu machen! Experten,
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