Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
ganz in Weiß gekleidet, wie es sich für einen Küchenchef gehörte, und mit fröhlicher Miene.
»Welche Ehre für mein Haus!«, sagte er und zog einen Stuhl heran.
Hector stellte die beiden einander vor und nannte Ophélie »eine Freundin«. Einen Augenblick hatte er daran gedacht, »meine Nichte« zu sagen, aber das war die klassische Lüge eines alten Verführers, und er verwarf den Gedanken gleich wieder.
Ophélie war bezaubert, einen echten Chefkoch ganz aus der Nähe zu sehen. Sie fragte ihn, weshalb er sich gerade von Asien inspirieren lasse. Léon, der ihr aufrichtiges Interesse spürte, berichtete von seinen Aufenthalten in Fernost, wo er in mehreren Hauptstädten Küchenchef von großen Hotels gewesen war.
»Ich habe die französischen Restaurants in diesen Hotels geführt«, sagte er, »aber wenn man dort lebt, geht man zwangsläufig auch auf den Markt und schaut, was es da gibt. Und das war eine Revolution in meinem Leben!« Und mit einem Seitenblick auf Hector fügte er hinzu: »Ein bisschen wie die, die sich im Moment abzeichnet …«
Als Hector das Restaurant betreten hatte, war ihm aufgefallen, dass dort nur zwei Paare beim Essen saßen, aber Léons Optimismus wirkte ungetrübt.
»Gestern hatte ich eine gute Besprechung in der Herald Tribune ! Das wird mir eine Menge Zulauf bringen …«
Hector hoffte, dass er recht behielt. Er wusste, dass Leute wie Léon zu Höhenflügen und tiefen Abstürzen neigten. Sie durchliefen Phasen von unbändiger Energie (wie Léon im Moment), konnten aber auch sehr deprimiert sein. Irgendwann würde sich für Léon die Frage einer Lithiumbehandlung stellen.
Der Sommelier, ein junger Mann (wenn einem sogar schon die Weinkellner jung vorkommen, gehört man wirklich nicht mehr zu den Jungen, dachte Hector), kam auf Léon zu und sagte ihm, dass man seine Hilfe in der Küche brauche.
»Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss zurück an die Arbeit …«
Und nachdem er sich noch schnell beim betagten amerikanischen Ehepaar am Nachbartisch erkundigt hatte, ob alles in Ordnung sei, verschwand er wieder in der Küche.
»War das einer von deinen Patienten?«
»Wenn es so wäre, dürfte ich es dir nicht sagen.«
Diese Antwort amüsierte sie offensichtlich.
»Und wenn jemand dich fragen würde, ob du ein Verhältnis mit mir hast?«
»Kommt darauf an, wer mich das fragt.«
»Deine Frau zum Beispiel?«
Hector erstarrte.
Ophélie hatte eine stillschweigende Übereinkunft gebrochen; von Clara oder Antoine war zwischen ihnen nie die Rede gewesen. »Und wenn dein Verlobter dich das fragt?«
Ophélie blickte ihn schweigend an. Dann sah er, wie ihre Augen feucht wurden. Unter ihrer Fassade des großen, unbesiegbaren Mädels war sie letztlich doch das kleine Rotkäppchen. Hector wurde bewusst, dass er einen Altersvorteil genoss: Mit den Jahren leidet man weniger. Aber wenn er mit Ophélie jetzt auf diesem Niveau weiterredete, wäre es so, als steige ein erfahrener und hartgesottener Kämpfer mit einem blutjungen Anfänger in den Boxring.
»Entschuldige bitte«, sagte er und legte seine Hand auf die von Ophélie.
»Aber ich war es doch, die angefangen hat«, meinte sie.
Sie wurden davon unterbrochen, dass die Kellnerin zu ihnen an den Tisch trat. Sie hatte Ophélies Alter, war aber von beeindruckendem Ernst erfüllt, als sie die beiden Teller hinstellte. Ophélie spießte ein Stück Entenfleisch auf, tunkte es in die Wasabisoße und sagte: »Ich werde nie bereuen, diese Reise gemacht zu haben.«
»Diese Reise?« Hector dachte, sie meinte ihren Aufenthalt in der Normandie, aber er irrte sich.
»Unsere Geschichte ist doch wie eine Reise.«
Unsere Geschichte … Diese Worte berührten Hector. Er hatte dem, was mit ihnen geschehen war, niemals einen Namen gegeben. Und doch war es ein vieldeutiges Wort: Eine Geschichte hatte immer einen Anfang und ein Ende.
»Und warum ist es für dich eine Reise?«
»Weil man beim Reisen sein Zuhause verlässt, von sich selbst fortgeht.«
»Und dann wieder zurückkehrt?«
Ophélie lächelte, und es war ein trauriges Lächeln. »Man weiß doch immer, dass man wieder zurückmuss. Nicht wahr?«
Was sollte er darauf entgegnen?
Hector spürte, dass zwei Ophélies vor ihm saßen. Die eine hoffte, dass er Nein sagen würde – nein, niemand sei verpflichtet, nach Hause zurückzukehren, und sie beide, Hector und Ophélie, gleich gar nicht, und es gebe eine gemeinsame Zukunft für sie.
Aber zugleich erriet er, dass es eine andere
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