Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
eingenommen; es waren Menschen jedes Alters, Erwachsene und Kinder, und natürlich hatte er in ihrer Mitte gleich Ophélie ausgemacht, ihre Haare in der Farbe des Herbstlaubs, die unter einer reizenden schwarzen Mütze wie Flammen züngelten.
Von Antoine konnte Hector nichts entdecken. Bei einem ihrer letzten Gespräche hatte Ophélie ihm gesagt, sie und Antoine wollten »gute Freunde bleiben«.
Eine solche Veränderung war für ihn sicher schwer zu akzeptieren, und so war er heute nicht erschienen.
Hector hatte sich gesagt, dass sein Verhältnis mit Ophélie ihr vielleicht eine glückliche Zukunft mit Antoine verbaut hatte. Andererseits wusste er auch, dass Ophélie noch zu jung und zu begierig auf neue Erfahrungen war, um sich bereits fest zu binden, selbst wenn ein so großartiger junger Mann wie Antoine auf sie wartete.
Einmal drehte sie sich kurz um, und ihr Blick begegnete dem von Hector. Und durch all ihren Kummer und ihre Tränen hindurch konnte Hector darin ein ganz schwaches Lächeln ausmachen.
Da wusste er, dass sich der alte François nicht geirrt hatte.
Epilog
Einige Wochen später bekam Hector in seiner Praxis ein Paket. Es war in Aix-en-Provence aufgegeben worden.
Als er es öffnete, fand er darin Tüten mit Dinkel, Quinoa und Bulgur, verschiedenfarbige Nudeln und Olivenöl, alles aus biologischem Anbau, und dazu zwei schöne Mangos, die noch nicht ganz reif waren. Und auf rohseidenfarbenem Recyclingpapier (natürlich) ein paar Worte von Sabine, die ihm dankte, dass er ihr geholfen hatte, sich »diesen Neustart selbst zu erlauben«. Sie schrieb, dass ihr Laden wie geplant eröffnet worden war und sehr gut anlief. »Meine Marktanalyse war richtig, es gab eine unbefriedigte Nachfrage«, fügte sie hinzu, denn um sich ihren Traum zu verwirklichen, hatte Sabine ihre ganze frühere Ernsthaftigkeit bewahrt.
Das regte Hector zu einem Eintrag in sein kleines Notizbuch an:
Wenn Sie Ihre Träume wahr machen wollen, sollten Sie das mit dem allergrößten Ernst tun.
Über ihren Mann schrieb Sabine nichts, aber Hector sagte sich, dass er unter der Sonne der Provence keine Ausreden mehr haben würde, nicht ein paar mehr Tennisstunden zu geben. Er sollte dies im eigenen Interesse tun, damit man ihm nicht eines Tages endgültig die Nuckelflasche wegzog.
Fast zur gleichen Zeit bekam Hector eine Postkarte aus Schanghai, die in einem frankierten Umschlag steckte. Abgebildet war das Werk eines jungen chinesischen Künstlers, die Parodie auf ein Revolutionsplakat: Tapfere Arbeiter, Bauern und Intellektuelle reckten darauf statt der üblichen Gewehre, Sicheln oder Hämmer mit triumphierender Geste die herrlichsten Smartphones in die Höhe.
»Steigende Werte?«, hatte Olivia auf die Rückseite der Karte geschrieben. Darunter hatte sie noch hinzugefügt: »Danke für alles, wirklich!« und ein kleines Smiley gezeichnet, und Hector begriff, dass sie auf sein Wartezimmer anspielte. Dementsprechend schrieb er in sein Notizbüchlein:
Wenn Sie davon träumen, ein neues Leben anzufangen, sollten Sie dabei vor allem die Augen offen halten.
Einige Zeit darauf sah Hector seine neuesten E-Mails durch, und seine Aufmerksamkeit wurde von einem Absender gefesselt, den er nicht kannte: Gott allein .
Im ersten Moment fragte sich Hector, ob ihm womöglich der Allerhöchste eine Nachricht geschickt hatte, um ihm in Erinnerung zu rufen, dass er Ehebruch begangen hatte und allzu glimpflich aus der Geschichte herausgekommen war.
(Um es Ihnen nur kurz zusammenzufassen: Hector hat Clara natürlich nie etwas verraten, und nach ihrer Rückkehr war seine Liebe zu ihr größer als zuvor. Er hatte mit Erstaunen festgestellt, dass auch ihre Liebe zu ihm gewachsen war. Ophélie indessen verlobte sich tatsächlich mit Antoine, der offenbar doch noch gelernt hatte, ihr zu widersprechen – was den alten François sehr gefreut hätte, und vielleicht hat es ihn, sofern Sie ans ewige Leben glauben, ja wirklich noch gefreut. Besonders moralisch ist das alles aber nicht, werden Sie nun einwenden – aber soll man einen Baum nicht nach seinen Früchten beurteilen?)
Die E-Mail kam von Roger, und darin stand:
Lieber Doktor,
heute schreibe ich Ihnen nur ein paar Sätze, damit Sie wissen, dass hier alles gut läuft, zumindest für mich. Die Stadt muss mal recht hübsch gewesen sein, aber es hat sie verdammt schwer getroffen.
Eingestürzt sind besonders die neueren Gebäude, wie Bürohäuser und Hotels. Zum Glück arbeiten hierzulande noch
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