Hei hei er und dann
Ganze geschah natürlich nach Redaktionsschluss um fünf Uhr, wenn die meisten Kollegen nach Hause gegangen wa ren.
„Ein bisschen mehr nach links – nein, nach rechts.“ Für eine Achtzigjährige war Emma erstaunlich agil und energisch. Zumindest nahm Rina an, sie sei achtzig – Emma selbst sprach nie über ihr Alter.
„Was meinen Sie, Rina?“, wollte Emma nun wissen. „KommenSie und sehen es sich von hier aus an.“
Da Rina wusste, dass Emma nicht eher Ruhe geben würde, bis sie ihrer Bitte nachgekommen war, beendete sie für heute ihre Arbeit am Computer und stellte sich neben die alte Dame.
„Guter Platz“, kommentierte sie und fügte mit Blick auf den Hausmeister hinzu: „Wollen Sie’s ausprobieren? Ich wette, Emma stellt sich gern zur Verfügung.“
Der gute Mann verdrehte die Augen, und Emma schmunzelte.
„Etwas mehr Festtagsstimmung, wenn ich bitten darf!“ Dann nickte sie. „Ja, gut. Befestigen Sie den Zweig an dieser Stelle.“
Damit hing er genau über Colin Lyons’ Schreibtischstuhl. Seine Rückkehr hatte einigen Aufruhr in der Redaktion verursacht. Kaum jemand hatte erwartet, dass er je zurückkehrte, und nun leitete er sogar das Nachrichtenressort. Doch niemand, nicht einmal Corinne, glaubte daran, dass er lange bleiben würde.
Rina grinste. „Sie sind ganz schön heimtückisch, Emma.“ Emma rieb sich vergnügt die Hände. „Nun sagen Sie bloß, dass Sie diesen Mann nicht gern unterm Mistelzweig erwischen wür den.“
Oh doch, das würde sie – und zwar liebend gern. Aber das wollte sie Emma, der Verkupplungskönigin, unter keinen Umständen auf die Nase binden. Sie würde schon allein klarkommen, und außerdem war im Moment ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt.
Vor dem Hintergrund ihrer Kolumne hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt, um herauszufinden, was Männer wirklich wollten. Es wäre nicht gut, wenn Emma sich jetzt in ihr Privatleben einmischte.
Andererseits war es nicht zu leugnen, dass Colin sie elektrisierte,sobald er den Raum betrat. Mit seinen hinreißend blauen Augen, dem dichten schwarzen Haar und seinem maskulinen Duft löste er prickelnde Schauer der Erregung in Rina aus. Und weibliche Intuition sowie die Tatsache, dass sie ihn mehrere Male in ihre Richtung hatte starren sehen, sagten ihr, dass auch er das Knistern zwischen ihnen spürte.
Emma sah sie interessiert an. „Schweigen ist auch eine Antwort.“
„Ach, kommen Sie, Emma. Frotzeln Sie über jemanden in Ihrem eigenen Alter.“
Die ältere Frau lachte. „Sie sind eine Herausforderung, Schätzchen. Ich liebe Herausforderungen, und ich liebe es, zu verkuppeln. Und wofür leben Sie, meine Gute?“
„Bis vor Kurzem war da nicht viel“, gestand Rina. Nach dem Tod ihres Mannes war sie von Schuldgefühlen geplagt gewesen. Er war nach einer Geschäftsreise durch strömenden Regen zu ihr nach Hause gefahren, anstatt vernünftigerweise noch eine Nacht im Hotel zu verbringen.
Eine lange Zeit hatte Rina nicht mehr daran geglaubt, dass ihr das Leben noch etwas zu bieten hatte. Doch nach einer Weile des Trauerns und Nachdenkens hatte sie ihr New Yorker Penthouse verkauft und beschlossen, irgendwo neu anzufangen. Ihre Arbeit als Rechtsanwaltsgehilfin wollte sie nicht wieder aufnehmen, weil sie damit nie ganz glücklich gewesen war.
Sie hatte überlegt, welche Arbeit ihr Befriedigung verschaffen würde. Schon immer hatten sie die Hintergründe des menschlichen Verhaltens interessiert und was jemanden dazu brachte, eine Beziehung zu diesem oder jenem Menschen einzugehen. Wie Emma war auch sie schon als Kupplerin tätig gewesen und hatte ihren Bruder Jake mit seiner Frau Brianne zusammengebracht. Sie beschloss, ihr angeborenes Gespür für Menschen sowie ihr bereits in der Kindheit entdecktesSchreibtalent beruflich zu nutzen.
Und nun hatte sie eine eigene Kolumne. „Aber seit ich in Ashford bin, habe ich eine völlig neue Lebensperspektive gewonnen“, erklärte sie voller Überzeugung. Wen kümmerte es, dass sie ein paar Fäden hatte ziehen müssen, um an diesen Job zu kommen?
Corinnes Vater wohnte im selben Seniorenheim wie Rinas Eltern. Natürlich war Corinnes Vater sehr viel älter als Rinas Eltern, aber wer in Florida Zähne hatte und aufrecht gehen konnte, fand immer Golf- oder Bridge-Partner. Als Rina erfuhr, dass Corinne die Zeitung von ihrem Mann übernommen hatte, telefonierte sie mit ihrer Mutter, die sich wiederum mit Corinne verständigte, und Rina bekam den Job. Natürlich wusste sie, dass
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