Hei hei er und dann

streichelte Norton und richtete sich auf. „Es ist schon eine Weile her.“
    Sobald sie Nortons Halsband losließ, schnüffelte der Hund an Colins Schuhen herum.
    Colin bückte sich und kraulte das Tier hinter den Ohren. Daraufhin warf Norton sich auf den Rücken und streckte alle viere von sich.
    „Ach, Norton! Benimm dich!“, meinte Rina stöhnend. „Er produziert sich gern. Das ist wirklich peinlich.“
    Colin lachte, und sie sah ihn an. Nun erst fiel ihm auf, dass sie keine Brille trug. Er trat einen Schritt zurück, um die Veränderung zu begutachten. Sie hatte wieder sehr dezent Make-up aufgelegt, und ohne die Brille konnte er ungehindert in ihre wunderschönen, vor Freude blitzenden Augen blicken. Was er sah, gefiel ihm sehr.
    „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, aber ich muss noch eine Runde mit Norton Gassi gehen, bevor wir loskönnen. Ich werde mich danach für die Party umziehen.“ Mit schwingendem Pferdeschwanz drehte sie sich zur Garderobe, zog ihre Winterjacke an und griff nach Nortons Leine.
    „Ich werde mitgehen“, bot Colin an.
    Eine volle Stunde später kehrten sie in die Wohnung zurück. Colins Finger waren eiskalt und seine Nasenspitze taub vor Kälte. „Das haben Sie absichtlich gemacht, oder?“
    „Was denn?“
    Einen anderen hätte ihr unschuldig fragender Blick wohl getäuscht, nicht aber Colin mit seinem Reporter-Instinkt. „Sie haben mit dem Gassigehen auf mich gewartet, weil Sie genau wussten, dass es eine ganze Stunde dauert. Sie wollten,dass ich mit Ihnen erfriere.“
    Allerdings hatte er den Spaziergang in vollen Zügen genossen. Sie hatten viel geredet und waren sich auf lockere Weise näher gekommen. Nur das Thema Corinne hatte er nicht ansprechen können, da Rina von den Weihnachtsfesten ihrer Kindheit erzählt hatte. Auch ohne viel Geld hatte ihre Familie immer schöne Feiertage verbracht.
    Colin musste an Joe und Neil denken. Er hatte es ihnen nicht gerade leicht gemacht. Um nicht über die Abwesenheit seiner Eltern nachdenken zu müssen, war er an Weihnachten oft zu Freunden geflüchtet. Während er Rinas Schilderungen zuhörte, hatte er über seine eigene Vergangenheit nachdenken und seine Fehler bereuen können. Colin nahm sich vor, Joe bald von seinen Gefühlen zu erzählen und so seine Fehler wieder gutzumachen.
    „Mein Bruder behauptet, ich sei eine chronische Zuspätkommerin. Es war also wirklich keine Absicht, dass ich mit dem Gassigehen gewartet habe.“ Sie sah Colin an, und ihre Augen strahlten vor Freude und Heiterkeit. Allerdings zuckten ihre Lippen, was verriet, dass sie sich ertappt fühlte.
    Der Wunsch, sie zu küssen, wurde immer stärker. Wenn sie sich nicht gleich für die Party fertig machte, würde Colin dem Drängen seines Körpers nachgeben und Rina aufs Sofa werfen. Dieses Mal allerdings würde er sich beim Küssen nicht nur auf ihre Lippen beschränken …
    „In fünf Minuten bin ich fertig.“ Ihre Stimme riss ihn aus seinen Träumen.
    „Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die so schnell fertig sein kann, vor allem nicht, wenn sie eine chronische Zuspätkommerin ist.“
    Sie lachte. „Da sollten Sie mich mal sehen!“ Sie hielt inne und errötete. „Das meinte ich natürlich nicht wörtlich. Ich meinte, Sie sollen einfach warten. Und mich dann ansehen.“
    Sie ging zu der Tür, die vom Wohnzimmer in den Nebenraum führte. „Norton wird Ihnen Gesellschaft leisten.“ Dann verschwand sie und machte die Tür hinter sich zu.
    Colin versuchte angestrengt, sich nicht vorzustellen, wie Rina sich im Nebenraum auszog. Stattdessen widmete er sich dem zerknautscht aussehenden Hund, der hechelnd neben ihm saß. „Ich bin sicher, es gibt hier irgendwo Wasser für dich.“ Colin marschierte in Richtung Küche, die ebenfalls vom Wohnzimmer abging.
    Norton folgte ihm und rannte zu seiner Wasserschüssel, die tatsächlich in der Küchenecke stand. Colin kehrte ins Wohnzimmer zurück, um mehr Einblicke in das Leben von Rina Lowell zu gewinnen.
    Im Bücherregal fand er eine ganze Reihe von Krimis und Thrillern sowie das gerahmte Foto eines Mannes und einer Frau. Die Frau hatte dem Mann die Arme um die Schultern gelegt. Da der Mann eine deutliche Ähnlichkeit mit Rina aufwies, nahm er an, es handelte sich um ihren Bruder Jake mit seiner Frau Brianne. Auf einem weiteren Foto winkte ein älteres Paar unter Palmen in die Kamera – vermutlich ihre Eltern. Und schließlich war da noch ein Bild von Rina selbst, mit zurückgekämmtem Haar, die Arme um Norton