Heidelberger Lügen
sie unsicher, wie sie sich verhalten sollte. »Also eigentlich …«
»Eigentlich dürfen Sie das nicht, ich weiß. Nicht ohne richterlichen Beschluss und so weiter. Deshalb habe ich mir ja die Mühe gemacht, persönlich vorbeizukommen. Der Mann, um den es geht, ist in jener Nacht hier ganz in der Nähe ums Leben gekommen, und wir vermuten, dass er sich hier einquartiert hatte. Ein kurzer Blick in Ihren Computer, und schon sind Sie mich wieder los.«
»Ums Leben gekommen?« Erschrocken starrte sie mich an. »Was heißt das denn?«
Ich klärte sie über die Umstände von Sören Kriegels Tod auf.
»Ach so. Hm.« Betreten sah sie wieder auf den Bildschirm. Ihre Finger spielten an der Tastatur. »Ich rufe vielleicht doch lieber mal den Chef.«
Dies war eine sehr schlechte Idee gewesen, wie ich rasch feststellen musste. Herr Habicht trug einen perfekt sitzenden dunklen Anzug und dazu eine silbergraue Krawatte, hatte eine zum Namen passende Nase und offenbar keine gute Meinung von Polizisten, die in seinem ehrenwerten Haus herumschnüffelten.
»Ein Hotel wie das unsere lebt vom Vertrauen seiner Gäste«, erklärte er mir streng und sah auf den Computermonitor, als müsste er sich vergewissern, dass dort nichts fehlte.
»Selbstverständlich werde ich Ihre Informationen streng vertraulich behandeln. Sie werden in keiner Akte erwähnt werden.«
»Darf ich das so verstehen, dass Sie nicht in offizieller Mission hier sind?«, fragte er mit einem gierigen Raubvogelblick.
»Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Herr Kriegel bei einem Verkehrsunfall ohne Fremdverschulden ums Leben kam. Aber nun gibt es plötzlich gewisse Hinweise, dass der Fall etwas komplizierter liegt.«
Ich versuchte, mir mit meinem Dienstausweis ein wenig Autorität und Vertrauen zu verschaffen. Herr Habicht studierte ihn mit entnervender Ausdauer, verglich sogar das Foto mit meinem Gesicht. Die Bewegung, mit der er mir das Kärtchen schließlich zurückgab, kam einer Verabschiedung gleich.
»Tut mir Leid, aber Sie müssen bitte verstehen …«
Frustriert zupfte ich einen Hausprospekt aus einem schmiedeeisernen Ständerchen. Vielleicht würde ich einmal anrufen, wenn Herr Habicht nicht im Haus war.
Kurz vor Neckargemünd hörte der Regen schlagartig auf, und als Heidelberg wieder in Sicht kam, blitzten mir die Türme und Dächer der Altstadt in einer silbernen Sonne entgegen, dass ich die Augen zukneifen musste. Inzwischen war es schon nach eins. Ich war hungrig und hatte schon wieder Lust auf Kaffee.
»Der Name des Toten ist Dean Morris McFerrin«, berichtete mir Klara Vangelis, die ich auf der Treppe traf. »Sechsundvierzig Jahre alt, hat in Kirchheim draußen gewohnt. Das ist ein Vorort im Südwesten«, fügte sie hinzu, als sie meinen fragenden Blick bemerkte.
»Ist schon jemand in seiner Wohnung?«
»Die Spurensicherung ist seit einer Stunde draußen. Sie müssten bald fertig sein. Ich bin auf dem Sprung.«
Ich dachte an die Akten auf meinem Schreibtisch. Essen konnte ich später. Ein wenig Fasten würde mir sowieso nicht schaden nach dem gestrigen Abendessen.
»Das will ich mir ansehen.«
Auch Vangelis hatte sich inzwischen damit abgefunden, einen Chef zu haben, der Schreibtischarbeit nicht ausstehen konnte. Minuten später saßen wir im Auto. Ich zückte das Handy, um Sönnchen zu informieren.
»Sie sollen zu Liebekind kommen«, sagte sie sorgenvoll. »Er hat schon zwei Mal nach Ihnen gefragt.«
»Das hat Zeit. In einer Stunde bin ich zurück. Spätestens.«
Meine Voicebox war leer. Keine Nachricht von Theresa. Nun gut. Der Klügere gibt ja bekanntlich nach. So fing ich an, eine launige SMS an sie zu tippen. Aber ich war dabei leider nicht annähernd so flink wie meine Töchter, und als ich halb fertig war, zog Vangelis schon die Handbremse an. Wir waren da.
McFerrins Dreizimmerwohnung lag an der Sandhäuser Straße, am südlichen Rand eines gepflegten Neubauviertels mit Blick ins Grüne. Nach den Autos am Straßenrand zu schließen, wohnten hier Singles und junge Familien mit Kindern.
Die Kollegen in den staubdichten Schutzanzügen waren noch nicht fertig mit ihrer Arbeit und baten uns, im Treppenhaus zu warten. Ein nervöser Mitarbeiter der Hausverwaltung in kariertem Hemd und ungebügelter Hose drückte sich vor der Tür herum und lauschte neugierig. Offensichtlich war er sich noch unsicher, ob er sich über die Unterbrechung seines Tagesablaufs ärgern oder sich über die unerwartete Abwechslung freuen sollte.
Vangelis
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