Heidelberger Lügen
mir mit leuchtenden Augen die schöne Musikerin in allen Einzelheiten zu beschreiben, aber dann besann er sich auf den Grund unseres Besuchs. »Ich bin erst nach ein Uhr nach Hause gekommen, weil ich anschließend mit Freunden noch ein oder zwei Gläschen Wein getrunken habe. Und da war nebenan noch Licht. Ich dachte, heute ist er aber lange auf, der gute Herr McFerrin. Und Schritte. Schritte habe ich auch gehört, drüben. Wie gesagt, das Haus ist ja leider …«
»Montag auf Dienstag, das war vermutlich die Nacht, in der er ums Leben kam. Haben Sie gehört oder gesehen, ob er später das Haus noch einmal verlassen hat?«
»Ich bin dann zu Bett gegangen und auch gleich eingeschlafen. Es war ein äußerst unterhaltsamer Abend gewesen, und ich war ein wenig erschöpft.«
»Dean? Dean ist tot?«
Nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, erfuhren wir von der aschblonden Mittdreißigerin, die uns im Erdgeschoss geöffnet hatte, McFerrin sei kein unsympathischer Kerl gewesen, habe aber anscheinend überhaupt nicht auf Frauen gestanden.
»Zumindest nicht auf Blondinen«, meinte sie achselzuckend, steckte sich eine Zigarette an und blies den Rauch an meinem rechten Ohr vorbei. Natalie Jung, so hatte sie sich vorgestellt, war barfuß, trug enge, verwaschene Jeans und schien zu jener Sorte Frau zu zählen, die glaubt, reichlich Parfüm, ein tiefes Dekolletee und zwei neckische Blicke reichten aus, um jeden Mann seine guten Vorsätze vergessen zu lassen.
Vangelis musterte die Blonde mit einem Blick, der alles bedeuten konnte, nur nichts Gutes.
»Fremde? Hier?« Die Frau nahm einen tiefen Zug und sah mit theatralischem Augenaufschlag an uns vorbei. »Ja. Wie ich Montagabend aus dem Büro kam, so gegen sieben, da stand draußen wieder dieses Auto und …«
»Welches Auto?«, fiel ich ihr ins Wort.
Verunsichert hob sie die eine Spur zu gut gepolsterten Schultern. »Ich versteh nichts davon. Ein silbernes. Ausländische Marke. Ein Kerl saß drin. Und der hat wohl auf wen gewartet, würd ich sagen.«
»Können Sie den Wagen beschreiben?«
»Irgendeine ausländische Marke, mehr weiß ich nicht. Vielleicht ein Franzose. Bestimmt kein Japaner. Japanische Autos hasse ich nämlich. Die erkenne ich auf den ersten Blick. Außer diesem schnuckeligen kleinen Mazda, den mag ich.«
»Verstehe ich Sie richtig, der Wagen hat öfter draußen geparkt?«
»Stimmt.« Die Asche an ihrer Zigarette wurde länger und länger. »In der letzten Woche hab ich den ein paar Mal hier gesehen. Hab mir natürlich nichts dabei gedacht. Erst jetzt, wo Sie fragen, fällt mir das überhaupt auf.«
Durch das Treppenhausfenster zeigte sie uns, wo der Wagen am Montagabend gestanden hatte.
»Wissen Sie, wann er wegfuhr?«
»Keine Ahnung. Als ich später los bin, in meinen Aerobic-Kurs, gegen halb acht muss das gewesen sein, da war er jedenfalls fort. Und Deans Schlitten auch. Der ist kurz vor mir weggefahren. Ich hab noch gehört, wie er oben abgeschlossen hat. Seine Wohnung liegt ja über meiner, und es ist schon verdammt hellhörig hier.«
»Dieser Mann in dem silbernen Wagen, wie sah der aus?«
»Wie der aussah?« Mit kritischem Blick beobachtete sie die Asche, die jeden Moment herunterzufallen drohte. »Ich hab ihn ja kaum gesehen. Er hatte die Sonnenblenden runtergeklappt. Nur ein Mal, jetzt fällt’s mir ein, da ist er ausgestiegen. Ich hab zufällig aus dem Fenster geguckt.«
Sie ging rasch in den Flur und holte einen kleinen, bunten Keramikaschenbecher. Im letzten Augenblick fiel die Asche hinein. Sorgfältig drückte sie die Zigarette aus.
»Also, wie sah er aus. Ende vierzig, Anfang fünfzig, würd ich sagen. Nicht schlecht gebaut. Anzug, Hemd, Schuhe, alles nicht vom Billigheimer. So ’n Typ, wo man schon mal schwach werden könnte als Frau.« Ein Glitzern in ihrem Blick ließ mich befürchten, dass sie auch mich zu dieser Kategorie zählte.
Vangelis kam mir mit der nächsten Frage zuvor. »Können Sie sich an das Kennzeichen erinnern?«
»Beim besten Willen nicht.« Die Zeugin lachte unvermittelt auf. »Da draußen stehen ’ne Menge Autos, nicht wahr?«
Sie strich sich das lockige Haar aus dem Gesicht. Die Haaransätze waren dunkel. Das Blond war nicht echt.
»Wie ist der arme Dean denn eigentlich umgekommen? Hat er einen Unfall gehabt?«
»Wir fürchten leider, dass Herr McFerrin in der Nacht von Montag auf Dienstag ermordet wurde.«
»Nein!« Um ein Haar wäre ihr der Aschenbecher aus der Hand gefallen.
Weitere Kostenlose Bücher