Heidelberger Lügen
und ich kamen überein, die Zeit zu nutzen und schon einmal etwas bei den Nachbarn herumzufragen.
Wir begannen mit dem Mann von der Hausverwaltung. Aber er wusste nichts. Er sei nur selten hier, erklärte er eifrig, und kenne kaum die Namen der Hausbewohner. Als wir keine weiteren Fragen an ihn hatten, wirkte er enttäuscht.
Wie in solchen Häusern üblich, waren die meisten Bewohner jetzt, am frühen Nachmittag, abwesend. Nur in zwei der Wohnungen trafen wir jemanden an.
Gegenüber von McFerrins Tür öffnete ein älterer Herr mit den Worten: »Wenn meine Frau Sie schickt, dann können Sie gleich wieder verschwinden!«
Er hatte so wulstige, feuchte Lippen, dass ich ständig fürchtete, er würde mich bei harten Konsonanten anspucken. Große Tränensäcke hingen unter wässrigblauen Augen. Nachdem ich ihn über den traurigen Anlass unseres Besuchs aufgeklärt hatte, bat er uns herein. Heute schien es überall, wo ich hinkam, nach Kaffee zu riechen. Horst Küpper war pensionierter Oberamtsrat und hatte früher beim Finanzamt gearbeitet, erfuhren wir noch im Stehen. Nun freute er sich sichtlich über den unverhofften Besuch und führte uns in ein für sein Alter überraschend modern eingerichtetes Wohnzimmer.
»Sie mögen sicher einen Kaffee. Ich habe eine neue Maschine«, erklärte er uns strahlend. »Sie müssen ihn unbedingt probieren.«
Minuten später saßen wir mit dampfenden Tassen am Esstisch, mit Aussicht auf winterlich kahle Bäume und die südlichen Ausläufer des Odenwalds. Vangelis hatte dankend verzichtet, ich hatte mir einen Cappuccino machen lassen. Horst Küpper hatte Recht, sein Kaffee war ausgezeichnet.
Ich stellte die Fragen, Vangelis notierte die Antworten.
»Kontakte? Gott, was soll man da sagen. Besuch hat er kaum gehabt. Frauen habe ich nebenan überhaupt nie gesehen. Aber ich hatte natürlich auch nicht ständig Herrn McFerrins Tür im Auge.«
»War er abends oft weg?«
Der beneidenswert schlanke Pensionär fuhr sich über das noch beneidenswert volle und dunkle Haar und nickte heftig. »Oh ja. Oft. Drei, vier Mal die Woche. Ich vermute, er ging einem Hobby nach. Er kam immer erst zwischen elf und zwölf Uhr zurück. Aber er machte keinen Lärm, trampelte nicht in seiner Wohnung herum. Sport dürfte nicht seine Leidenschaft gewesen sein, so sah er nicht aus. Etwas Kulturelles möchte ich ebenfalls ausschließen. Dafür war er nicht der Typ. Vielleicht ging er ins Kino?«
McFerrins Lieblingsmusik war irische Folklore gewesen.
»Ich vermute, er stammt aus Irland. Meine Leidenschaft ist ja eher die klassische Musik, Brahms, Dvořák. Aber er hat seine Anlage nie so laut gedreht, dass man gestört wurde. Alles in allem war Herr McFerrin ein wirklich angenehmer Nachbar. Das Haus ist ja leider Gottes ein wenig hellhörig. Wer weiß, wer da jetzt nachkommt.«
Neben einem großflächigen abstrakten Gemälde, das ich mir ohne zu zögern ins eigene Wohnzimmer gehängt hätte, entdeckte ich das Foto einer bieder wirkenden Frau in den Vierzigern, die betreten in die Kamera lächelte.
»Ihre Frau?«, fragte ich lächelnd.
»Gewesen!« Plötzlich war es aus mit seiner guten Laune. »Sie ist weg. Schon seit fünf Jahren. Jetzt will sie die Scheidung und eine Menge Geld obendrein. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist?« Streitlustig funkelte er mich an. »Ich bin selbst schuld an der ganzen Misere!«
»Wie das?«
»Ach!« Er sank zurück, sah zum Fenster, kratzte sich am Ohrläppchen. »Eine polnische Putzfrau. Hübsches Ding. Ich hatte sie selbst ausgesucht, ich, verstehen Sie? Knuspriges Mädchen, wirklich apart und gerade mal zwanzig damals. Und Sie erraten niemals, was passiert ist!« Er schlug auf den Tisch, dass die Kaffeelöffel klirrten. »Nach ein paar Wochen brennt meine gute Veronika mit diesem Flittchen durch!« Er lehnte sich zurück und entspannte sich. »Eigentlich hatte ich mir das natürlich anders vorgestellt. Eine junge Frau im Haus, die nicht verwöhnt ist und vielleicht auch nicht prüde …«
Er brach ab, ich kam zum Thema zurück. »Haben Sie in den letzten Tagen und Wochen etwas Besonderes bemerkt? Personen, die nicht ins Haus gehören? Autos, die sonst nicht hier parken?«
»Nein.« Bedächtig schüttelte er den Kopf. Plötzlich nickte er. »Doch. Am Montagabend. Ich war zum Konzert der Philharmoniker in der Stadthalle. Die haben da eine Cellistin, eine äußerst entzückende Frau. Rote Haare, eine Pracht, wirklich äußerst entzückend!« Er war drauf und dran,
Weitere Kostenlose Bücher