Heidelberger Lügen
»Ermordet? Von Montag auf Dienstag, sagen Sie? Wann genau?«
»Das wissen wir noch nicht. Kurz vor Mitternacht hat er noch gelebt, das ist sicher. Da hat er in Mosbach getankt. Später war er dann offenbar noch einmal hier, in seiner Wohnung. Und anschließend muss er wohl wieder weggefahren sein und seinen Mörder getroffen haben.«
»In Mosbach?« Ihre Augen wurden klein. »Warten Sie … Stimmt, jetzt fällt’s mir ein: Er hat’s mir ja am Sonntag erzählt, auf der Treppe. Richtung Heilbronn wollte er am Montagabend. Irgendwas Geschäftliches, hat er gesagt. Wir sind drauf gekommen, weil mein Halbbruder dort verheiratet ist.« In Gedanken schüttelte sie den Kopf. »Und Sie haben Recht. In der Nacht hab ich ihn tatsächlich nochmal gehört. Ich wollte eben ins Bett, bin aus dem Bad gekommen und hab die Vorhänge zugezogen.« Sie schenkte mir einen ihrer funkelnden Seitenblicke. »Man weiß ja nie, welcher Spanner sich draußen herumtreibt. Und da hab ich Dean oben gehört.«
»Was genau haben Sie gehört?«
»Schritte. Nur Schritte. Er ist in der Wohnung rumgelaufen.«
»Erinnern Sie sich an die Uhrzeit?«, fragte Vangelis. »Wenigstens ungefähr?«
»Die weiß ich sogar ganz genau!« Plötzlich wurde unsere Gesprächspartnerin lebhaft. Sie zündete sich eine neue Zigarette an. »Kurz vor eins war das. Ich hatte mich gerade ausgezogen, nachts kann ich ja nichts am Leib vertragen«, wieder einer ihrer Blicke, »und da hat in der Wohnung gegenüber diese blöde Uhr angefangen zu bimmeln. Wie oft hab ich mit diesen …« Sie fauchte wütend. »Aber es gibt Leute, sag ich Ihnen, da reden Sie gegen Wände.« Mit einer letzten Charme-Attacke sah sie mir in die Augen. »Ich werd noch ein bisschen nachdenken. Bestimmt fällt mir noch das eine oder andere ein. Vielleicht gucken Sie später nochmal vorbei? Auf einen gepflegten Calvados?«
»Meinen Glückwunsch«, sagte Vangelis schadenfroh grinsend beim Weg die Treppe hinauf, »da haben Sie ja eine tolle Eroberung gemacht!«
Die Spurensicherer hatten die Wohnung freigegeben, und wir machten uns an die Arbeit. McFerrins Mobiliar war nicht mein Geschmack, aber gewiss nicht billig gewesen. Die Behausung eines wohlhabenden Junggesellen, der nicht recht weiß, was er mit seinem Geld anfangen soll. Die Wohnung wirkte aufgeräumt, alles war an seinem Platz. Man fand sich zurecht, als wäre man schon hundert Mal hier gewesen.
Nach einer halben Stunde wussten wir alles Wesentliche über ihn. Dean Morris McFerrin war keineswegs Ire. Er war neunzehnhundertsechzig im englischen Bristol zur Welt gekommen, hatte eine ordentliche Schulbildung genossen und mit Noten abgeschlossen, die erheblich besser waren als die meiner Töchter zurzeit. Nach einem Ingenieurstudium in Birmingham stieß er zur British Army und kam auf diesem Weg nach Deutschland, in die Nähe von Lüneburg. Dort hatte er geheiratet, eine Tochter kam elf Monate später zur Welt. Nach sechs Jahren und dem dritten Kind wurde die Ehe geschieden.
Bald darauf nahm McFerrin seinen Abschied von der Army und fand in der Nähe von Frankfurt eine Stelle als Computerfachmann. Über die Jahre wechselte er mehrfach den Arbeitgeber. Zuletzt war er hier in Heidelberg bei einer Firma namens SETAC gewesen, von der ich noch nie gehört hatte. Ich überflog seine Zeugnisse. Man lobte ihn als fleißig und gewissenhaft, wenn auch, war zwischen den Zeilen zu lesen, ein wenig verschlossen. Ein guter Teamarbeiter war er offenbar nicht gewesen.
Ein wenig wunderte ich mich, wie er sich das alles hatte leisten können: Die Wohnung, den zugegeben nicht mehr taufrischen, aber großen Mercedes, dazu den Unterhalt für seine geschiedene Frau und drei Kinder. Kostspielige Laster schien er jedoch nicht gehabt zu haben. McFerrin gehörte zu den Menschen, die noch einen richtigen, alten Plattenspieler hatten. Einen vor Zeiten sündhaft teuren Thorens. Die LPs daneben waren wie angekündigt, Finbar and Eddie Furey, The Grehan Sisters, Larry Cunningham und natürlich die unverwüstlichen Dubliners. Sein Lieblingsgetränk war schottischer Whisky, von dem eine beeindruckende Auswahl in einem ungewöhnlich geschmacklosen Regal stand. Seine eigentliche Leidenschaft war offensichtlich seine Waffensammlung gewesen. Einer der drei Räume war als regelrechtes kleines Museum mit beleuchteten Vitrinen eingerichtet. Hier gab es Steinschlossflinten, zwei Vorderlader, Karabiner aus dem Ersten Weltkrieg, hundertfünfzig Jahre alte Colts, mehreren Versionen
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