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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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seinem Tod? Weil ich nicht sehen wollte, was auf uns zukam, obwohl ich es hätte sehen können?
     
    Die Zwillinge warteten schon ungeduldig auf mich. Sönnchens Schreibtisch war so aufgeräumt, als hätte sie gekündigt. Sie selbst war unauffindbar. Rasch erledigte ich noch ein paar Kleinigkeiten, dann fuhren wir nach Karlsruhe, packten unsere Sachen und kehrten nach Heidelberg zurück, um uns in unserer neuen Wohnung zwar nicht gerade häuslich, aber doch immerhin niederzulassen.
    Zum Abendessen ließen wir uns Pizza bringen. Die Mädchen genossen das Abenteuer einer Mahlzeit unter Camping-Bedingungen auf dem glänzenden Parkett einer leeren, hallenden Wohnung unter nackten Glühbirnen. Vor dem Zubettgehen rief ich noch einmal meine Leute an, die vor Grotheers Haus Wache schoben, und schärfte ihnen ein, die Augen offen zu halten. Mein Handy würde die ganze Nacht über eingeschaltet sein, und ich wünschte über die geringste Kleinigkeit informiert zu werden. Neben meinen beiden Beamten war ständig mindestens ein Streifenwagen im westlichen Teil von Neuenheim unterwegs, dessen Besatzung nach einem hageren Mann in den Fünfzigern Ausschau hielt, der ein Bein nachzog.
    In dieser Nacht schlief ich unruhig und träumte wieder einmal mein Durcheinander aus Marianne, Perlenkette und Vera. Immer wieder Vera. Bald tat mir alles weh, und es gelang mir nicht mehr, eine Stellung zu finden, die länger als fünf Minuten bequem war. Unseren letzten Camping-Urlaub hatten wir vor Jahren an der französischen Atlantik-Küste verbracht, in der Nähe von La Rochelle. Das Ergebnis war ein ungewöhnlich lange anhaltender Ehekrach gewesen und der Beschluss, künftig entweder im Hotel Ferien zu machen oder überhaupt nicht mehr.
    Als ich endlich in Tiefschlaf fiel, war es fünf, und um sieben weckten mich die Zwillinge und verlangten ihre Geschenke. Ich scheuchte sie in ihr Zimmer zurück, duschte, zog mich eilig an und ging los, um wenigstens einen standesgemäßen Geburtstagskuchen zu besorgen. Der Bäcker hatte sogar Kerzen.
    Am meisten freuten sie sich über die Koalas. Und das freute wiederum mich. Sie tollten herum und drückten und herzten ihre Bärchen, ich tat fröhlich und wünschte, Vera wäre dabei. Die ganze Zeit trug ich mein Handy herum, aber es klingelte kein einziges Mal. Nebenbei sah ich mir unsere neue Bleibe genauer an. Außer einem bisschen Streichen und ein paar Dübellöchern, die zugeschmiert werden mussten, gab es erfreulich wenig zu tun.
    Bevor wir zum ersten Geburtstagsessen aufbrachen, fuhr ich rasch noch in unser Haus zurück, um ein paar Lampen zu holen und meine Matratze.
    Das Essen bei McDonalds war wie erwartet. Aber die Mädchen waren glücklich, und ich tat, als wäre ich es auch. Zwischendurch probierte ich mein Handy aus. Es funktionierte einwandfrei.
    Nachmittags gab es eine kleine Krise, weil den Mädchen auf einmal bewusst geworden war, dass es kein Geburtstagsfest geben würde. Ich versuchte sie damit zu beruhigen, dass sie mit vierzehn wirklich keine Kinder mehr seien, sondern Jugendliche, und erinnerte sie daran, dass sie vor drei Jahren zuletzt Kindergeburtstag gefeiert hatten und für Vergnügungen wie Topfschlagen vielleicht doch ein wenig zu alt waren. Sie ließen nicht locker. Ich schlug ihnen vor, einige ihrer neuen Klassenkameradinnen zu einer zünftigen Party einzuladen. Doch sie behaupteten, in der neuen Klasse gebe es niemanden, mit dem sie ihre Freizeit verbringen wollten. Sie wollten zurück. Zurück nach Karlsruhe, zurück in ihr Geburtshaus, zurück in ihre Kindheit.
    Gemeinsam überlegten wir, was es in Heidelberg gab, woran sie Spaß haben könnten. Aber es fiel uns nichts ein. Was gibt es schon, was für Vierzehnjährige interessant und nicht zugleich verboten ist?
    So gingen wir schließlich in ein Kino in der Hauptstraße und sahen uns irgendeine Hollywood-Schnulze mit Julia Roberts an, bei der ich mir mehrfach unauffällig eine Träne von der Backe wischen musste. Dann ging es wieder zu McDonald’s, zum zweiten Geburtstagsessen. Mein Handy schwieg hartnäckig. Aber das war natürlich kein Wunder. Wenn wir uns nicht täuschten, dann blieben uns immer noch mindestens vierundzwanzig Stunden, bis es für Frau Grotheer gefährlich wurde. Falls Krahl uns nicht schon wieder zum Narren hielt. Denn das war meine größte Sorge: Er wusste, dass wir mit dem nächsten Anschlag rechneten. Dass wir unsere Vorkehrungen trafen. Und natürlich würde auch er die seinen treffen. Nach dem

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