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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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zerrte ihn um die Ecke in die Marstallstraße und platzierte ihn auf die Treppe in einem Hauseingang. Dann stellte ich meine Tüten ab und setzte mich neben ihn.
    »Gibt’s unter Ihren Kumpels eigentlich einen Mann, so Mitte fünfzig, der so lange Haare hat wie Sie?«, fragte ich in die betäubende Alkoholwolke hinein, die mir entgegenschlug.
    Bedächtig schüttelte der Kandidat der Ägyptologie das angegraute Haupt. »Nee, mit so …« Ein heftiger Schluckauf unterbrach den Satz. Plötzlich begann er zu lachen. »Nee, mit so Haaren kenn ick keinen. Dett is denen zu unmodern.«
    Eine vorübergehende Dame musterte uns mitfühlend und schien zu überlegen, ob sie uns ein paar Münzen hinwerfen sollte. Aber sie vermisste wohl die dafür vorgesehene Büchse.
    »Gibt’s dann vielleicht einen, der ein Bein nachzieht? Das linke?«
    »Dett is Alfred. Aber der is ja weg.«
    »Alfred? Und was heißt das, weg?«
    »Ja, wat soll dett wohl heißen? Früher, da is der Alfred da jewesen, und jetzt is er weg.« Er begann, sich leise in den Schlaf zu singen.
    »Kennen Sie diesen Alfred schon länger?«, fragte ich hastig. »Und haben Sie eine Ahnung, wo er stecken könnte?«
    »Klar kenn ick den schon länger. Wir sind ja schließlich Nachbarn, und da is dett doch kein Wunder, wenn man sich kennt!« Er rülpste empört und nahm sein Lied wieder auf, passenderweise »What shall we do with the drunken Sailor.«
    »Nachbarn? Was wollen Sie damit sagen?«
    Besorgt stierte er mich an. »Also Nachbarn, so nennt man Menschen, die ganz in der Nähe wohnen. Im selben Haus zum Beispiel, oder gegenüber«, erklärte er mir nachsichtig. »Solche Menschen, die nennt man dann Nachbarn.«
    Ich ergriff meine Tüten, packte ihn unterm Oberarm und zog ihn hoch. »Wo wohnen Sie?«
    »Na, da!« Vorwurfsvoll wies der in Richtung Stadt. »Da hinten. Semmelsgasse, Aber dett habt ihr doch allet ufgeschrieben!«
     
    Eine halbe Stunde später stand ich mit Vangelis und Balke in Volker Krahls Zweizimmer-Altbauwohnung in der Semmelsgasse. Die Spurensicherer warteten vor der Tür, und Georg Simon hielt sich auf der Toilette der Erdgeschosswohnung auf, von wo man hin und wieder Mitleid erregende Geräusche hörte. Der Name an der Klingel lautete nicht »Krahl«, sondern »Betzner«, aber schon nach dem ersten Blick auf den aufgeräumten Schreibtisch unter dem Fenster zur Straße wussten wir, dass wir hier richtig waren.
    Auf Krahls Schreibtisch standen ordentlich aufgereiht drei gerahmte Farbfotos, jedes mit einem schwarzen Trauerband an der rechten oberen Ecke. Eine unscheinbare, dunkelhaarige Frau, deren Lächeln etwas Mühsames hatte, ein verwegen dreinschauender junger Mann im Fußballtrikot, der seinem Vater ähnlich sah, und ein strahlend in die Kamera lachendes Mädchen.
    Die Bilder standen nicht an ihrem Platz, als ob jemand sie vergessen hätte. Sie standen da wie eigens für uns hingestellt. In mir keimte zum ersten Mal der Verdacht auf, dass Volker Krahl mit uns spielte. Er hielt uns zum Narren, er führte uns an der Nase herum. Der Programmpunkt, den er uns für heute zugedacht hatte, war die Entdeckung seiner ehemaligen Wohnung, die er seit mindestens zwei Wochen nicht mehr betreten hatte.
    Das Fenster ging zur Straße. Mein Blick fiel auf eine hässliche Mauer, auf die eine gute Seele vermutlich zur Verbesserung der Aussicht rührend guckende Pinguine und ein Flugzeug gesprayt hatte.
    »Es sind drei Bilder, nicht zwei«, sagte Vangelis leise. »Der hat wirklich noch was vor.«
    Wir gingen ins Treppenhaus und schickten die Spezialisten hinein. Nach einer Viertelstunde kam der Teamleiter heraus, ein drahtiger Kerl kurz vor dem Pensionsalter, der offensichtlich schon viel gesehen hatte.
    »Da drin hat nicht einer seine Wohnung aufgeräumt«, erklärte er mir mürrisch und steckte sich ein Zigarillo an. »Da hat einer sein Leben aufgeräumt. Es gibt nichts, aber auch wirklich absolut nichts Persönliches. Außer diesen drei Fotos natürlich. Und dann haben wir noch eine Echthaar-Perücke gefunden mit langen grauen Haaren und so ’nen Schutzanzug wie diesen hier.« Er zupfte an seinem Ärmel. »Was das soll, weiß der Teufel.«
    »Und ich«, sagte ich. »Ich weiß auch, was das soll. Fingerabdrücke?«
    Er schüttelte unwirsch den Kopf.
    »Gewebespuren?«
    Zu meiner Überraschung nickte er. »Paar Haare unter der Matratze. Paar Hautschuppen in den Parkettritzen. So ordentlich kann einfach kein Mensch putzen, dass nicht irgendwas bleibt, wenn er eine

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