Heidelberger Requiem
siebenundzwanzig Jahre lang Professor für Slawistik an der hiesigen Hochschule, ich bin des Lesens und Schreibens durchaus mächtig. Herr Grünlich hat sogar einige Kartons von Audiostar in der Wohnung stehen. Und Ordner mit Papieren, Lieferscheinen und solchen Dingen, aber dennoch …«
»Sie haben sich also ein bisschen umgesehen?«
Kampfeslustig funkelte er mich an. »Immerhin handelt es sich um unser Eigentum, und wir haben ja wohl gewisse Rechte, zu wissen, wer unser Gast ist.«
Ich griff zum Hörer und trug Sönnchen auf, mich mit der Vertriebsabteilung dieser Firma in Göttingen zu verbinden.
»Eine Frage noch, Herr Professor. Hinkt Ihr Herr Grünlich?«
Bevor er antworten konnte, klingelte mein Telefon. Ja, natürlich beschäftigte Audiostar einen Mitarbeiter namens Grünlich. Er sei aber nicht im eigentlichen Sinne Vertreter, sondern für die Organisation von Marketing-Kampagnen zuständig. Herr Grünlich arbeite seit zwölf Jahren für die Firma, und man sei äußerst zufrieden mit ihm.
»Keineswegs«, sagte Professor Englisch, als ich auflegte.
»Was, keineswegs?«
»Herr Grünlich hinkt keineswegs. Er ist im Gegenteil erstaunlich gut zu Fuß für sein Alter. Als ob er regelmäßig Sport triebe. Obwohl er ein wenig blass ist und manchmal müde wirkt.«
»Geben Sie bitte meiner Sekretärin Ihre Adresse und Telefonnummer«, sagte ich erschöpft. »Wir werden uns melden, falls wir weitere Fragen haben.«
Er holte Atem zu einer Gegenrede, erhob sich dann aber schweigend, setzte seinen Hut auf und verschwand mit würdigen Schritten und einem gemurmelten Gruß. Ich meinte, etwas wie »Schmidtchen« zu hören und war gespannt auf den ausführlichen Leserbrief für die Rhein-Neckar-Zeitung, den er heute Nachmittag verfassen würde.
25
Kaum war die Tür geschlossen, öffnete sie sich schon wieder.
»Der Herr Direktor …« Weiter kam Sönnchen nicht. Liebekind schob sie zur Seite. Es war das erste Mal, dass er mich in meinem Büro aufsuchte. Sonst pflegte er anzurufen oder mich zu sich zu bestellen, wenn er etwas von mir wollte. Seine Miene versprach jedoch nichts Schlimmes. Im Gegenteil, ein schelmisches Lachen hing in seinen Mundwinkeln.
Ich erhob mich.
»Herr Gerlach, Sie wollten doch partout wissen, warum Sie Kripochef geworden sind.« Er trat einen Schritt zur Seite. Eine große, dunkelblonde Frau trat ein. »Hier steht der Grund vor Ihnen. Ich darf vorstellen – meine Frau.«
Mein Atem stockte.
Auch heute trug sie wieder die unvermeidliche Perlenkette.
Nach dem ersten Schrecken trat ich zwei Schritte vor und drückte Frau Liebekind linkisch die Hand. Sie senkte den Blick, hob ihn wieder, ihr Lächeln wollte verlöschen, flackerte wieder auf. Mein Atem war noch nicht wieder in Gang gekommen. Liebekind schmunzelte in sich hinein und schien nichts von unserer Verwirrung zu bemerken.
Ich hatte also ein Verhältnis mit der Frau meines Chefs.
Wo war meine Pistole?
Was blieb mir übrig, als mich zu erschießen?
»Irgendwie hat sie einen Narren an Ihnen gefressen«, fuhr Liebekind arglos fort, nachdem von uns anderen offenbar keine Beiträge zur Unterhaltung zu erwarten waren. »Ich hatte den ganzen Bewerbungskram übers Wochenende mit nach Hause genommen, weil ich mich nicht recht entscheiden konnte. Sie …« Er zog seine Frau herzhaft an sich. Widerstrebend ließ sie es geschehen. »… hat die Mappen gefunden und gelesen. Heimlich natürlich. Und dann kommt meine liebe Theresa abends mit der Bewerbung eines gewissen Alexander Gerlach daher. Schatz, sagt sie, den hier musst du nehmen. Was sollte ich machen? Sie wissen ja, Frauen, die ihren Willen nicht bekommen …«
Theresa also. Viermal hatte ich mit ihr im Bett gelegen. Zweimal war ich Händchen haltend mit ihr spazieren gegangen. Sieben oder acht Mal hatte ich ihr einen Orgasmus verschafft, bei einem Mal war ich mir nicht ganz sicher.
Durch ihre vollen Wimpern hindurch sah sie mir unentwegt in die Augen und schien plötzlich eine Höllenangst zu haben. Das war auch völlig berechtigt.
»Guten Tag«, brachte ich endlich heraus. »Freut mich, Ihre … Bekanntschaft zu machen.«
»Sie müssten sich eigentlich kennen«, meinte Liebekind mit zärtlichem Blick auf seine Frau. Mein Atem stockte erneut. »Damals, bei der Feier Ihrer Inauguration, Sie erinnern sich?«
Sie nickte mir zu und lächelte scheu. »Freut mich ebenfalls«, hauchte sie. Ich erkannte ihre Stimme kaum wieder.
Endlich verabschiedeten sie sich und gingen Arm in Arm
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