Heidelberger Requiem
abgestellt haben, damit er in Ruhe schlafen kann!«
Bevor er auflegen konnte, fragte ich ihn, was seine Nachforschungen wegen Krahls Arzt ergeben hatten.
»Nichts«, lautete die schlichte Antwort. »In Neckargemünd und Umgebung gibt’s keinen Arzt, der eine Akte über ihn hat.«
Irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchturmuhr elf. Ich trat ans Fenster. Ein Entenpärchen landete in dem viereckigen Teich vor dem Eingang. Wolken waren aufgezogen, erste Tropfen fielen. Die Schranke zum Parkplatz schwang hoch, ein großer dunkelblauer Wagen fuhr vor, ein Audi. Eine Frau stieg aus, und für einen Moment dachte ich … aber das konnte nicht sein. Hastig spannte sie ihren Schirm auf und lief zum Eingang. Nein, ich musste mich getäuscht haben.
Sönnchen sah wieder herein. Noch bevor ich den Mund öffnen konnte, sagte sie tapfer: »Herr Kriminalrat, da wäre immer noch dieser Herr.«
»Welcher Herr denn?«
»Er wartet jetzt schon über eine halbe Stunde. Er möchte dringend mit Ihnen reden.«
»Soll mit jemand anders reden.«
»Er besteht aber darauf …«
»Okay.« Ich stöhnte auf. »Schicken Sie ihn in Gottes Namen rein. Aber sagen Sie ihm, dass ich verdammt wenig Zeit habe.«
Augenblicke später erschien ein schmaler und sehr aufrecht gehender weißhaariger Mann mit elegantem Hut und schwarz glänzendem Stöckchen in meiner Tür.
»Freundlichen Dank dafür, dass Sie mir ein wenig Ihrer knappen Zeit opfern, Herr Kriminalrat«, begann er mit einer angedeuteten Verbeugung, nachdem er sich umständlich gesetzt und seinen Hut auf meinem Schreibtisch platziert hatte. »Sie gestatten, mein Name ist Englisch. Professor Doktor Englisch.«
»Angenehm«, sagte ich. »Und was verschafft mir die Ehre?«
»Nun.« Würdevoll saß er auf seinem Stuhl und sah mir in die Augen. Er klemmte seinen Stock zwischen die Beine und legte die knochigen Hände auf den Knauf. »Sie verzeihen, wenn ich mich direkt an Sie wende. Aber ich habe im Lauf meines Lebens schon des Öfteren die Erfahrung machen müssen, dass es besser ist, sich an Schmidt zu wenden und nicht an Schmidtchen, Sie verstehen.«
»Ich verstehe.«
Er hatte den Blick eines Mannes, der gewohnt ist, dass man ihm zuhört und Zeit hat für ihn. Ergeben lehnte ich mich zurück.
»Sie suchen doch diesen Mann.«
»Volker Krahl.«
»Ich kenne den Herrn allerdings unter dem Namen Grünlich.« Siegessicher lächelte er mich an. »Herr Grünlich wohnt in meinem Hause.«
»In Ihrem Haus? Seit wann?«
»Seit einem Jahr schon. Seit Oktober letzten Jahres, um genau zu sein.«
»Bis vor zwei Wochen hat er noch in einer kleinen Wohnung in der Semmelsgasse gehaust.«
Ungerührt nickte er. »Das mag ja durchaus sein. Aber dennoch bin ich überzeugt, dass es sich um den Mann handelt, den Sie suchen. Er sagte uns gleich zu Beginn, er werde oft unterwegs sein und nur gelegentlich bei uns übernachten. Reisender sei er, für eine gewisse Firma Audiostar in Göttingen, die, wenn ich recht verstanden habe, Tonanlagen herstellt für große Veranstaltungen, Konzerte und dergleichen. Er komme aus dem Norden, sagte er uns, habe nur hin und wieder hier in der Gegend zu tun und benötige einen Ort, wo er dann übernachten und seine Dinge deponieren könne. Uns, meiner Frau und mir, war das natürlich nicht Unrecht. Herr Grünlich ist ein durchaus angenehmer Mieter, wie Sie sich vielleicht vorstellen können.«
»Wie oft haben Sie ihn denn gesehen?«
»Nun, er kam nur alle paar Wochen für ein, zwei Nächte, manchmal auch drei, um anschließend wieder abzureisen.«
»Er ist mit dem Wagen gekommen?«
»Mit einem Mercedes, ja. Der Wagen hat ein Göttinger Kennzeichen. Das hat schon alles zusammengepasst.«
»Und trotzdem hatten Sie Ihre Zweifel?«
»Nun.« Er räusperte sich und betrachtete mit kritischem Blick seinen Hut. »Wir, meine Frau und ich, möchten natürlich gerne wissen, mit wem wir unser Haus teilen. Und als wir von Ihrer Fahndung lasen und dieses Bild in der Zeitung sahen … Wir haben dann einige Erkundigungen eingeholt.«
»Erkundigungen? Was für Erkundigungen?«
»Diese Firma Audiostar, für die zu arbeiten Herr Grünlich vorgibt, die gibt es in der Tat. Aber sie vertreiben ihre Produkte nicht über Vertreter, sagte man mir dort.«
»Und Sie halten es für ausgeschlossen, dass Sie etwas falsch verstanden haben? Dass es eine andere Firma war, zum Beispiel?«
»Herr Kriminalrat, verzeihen Sie, aber ich bin nicht dumm. Und meine Frau ebenso wenig. Ich war
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