Heidelberger Requiem
davon. Einmal wandte sie sich noch um. Ernst und fragend sah sie mir ins Gesicht. Ich hielt ihrem Blick stand. Aber ich lächelte nicht.
Ich schloss die Tür hinter ihnen.
Ich Idiot hatte also ein Verhältnis mit der Frau meines Chefs. Niemals wieder würde ich Liebekind in die Augen sehen können, ohne daran zu denken, dass er im Bett nichts zustande brachte, dass seine platonische Liebe zu Zigarren vielleicht ganz andere Hintergründe hatte als vermutet.
Und natürlich läutete ausgerechnet jetzt mein Telefon.
»Spreche ich mit Herrn Gerlach?«
Eine unbekannte Frauenstimme. Ich brachte nur ein »Hm« heraus.
»Dem Vater von Sarah und Louise?«
Um ein Haar hätte ich »leider« gesagt.
»Herxheimer. Ich bin die Sportlehrerin. Ihre Töchter haben einen Unfall gehabt?«
»Was denn für einen Unfall, um Himmels Willen?«, frage ich und spürte den letzten Rest von Adrenalin durch meine Adern schießen, der mir noch verblieben war.
Sie lachte erleichtert auf. »Danke, das beantwortet schon meine Frage. Wir haben letzte Woche mit Geräteturnen begonnen, und Ihre Töchter scheinen mir nicht eben flammende Anhängerinnen davon zu sein.«
»Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen.« Noch wusste ich nicht, wohin das führen sollte. Aber ich wusste, dass es nichts Gutes war.
»Und heute kommen die beiden nun zu mir, die eine humpelt zum Herzerweichen, die andere klagt über ein Rückenleiden, und sie erklären mir, sie könnten leider nicht am Sportunterricht teilnehmen, wegen ihres schlimmen Unfalls.«
»Sie humpelt?«
»Welche von beiden, kann ich leider nicht sagen.«
»Sie humpelt, sagten Sie?«
»Und wie«, lachte sie. »Ihre Töchter sind wirklich köstliche Schauspielerinnen. Aber so geht das natürlich nicht. Deshalb dachte ich, ich kläre das lieber gleich mit Ihnen. Vielleicht könnten Sie ein Wort mit Ihren süßen …?«
Ich legte auf. Frau Herxheimer musste mich für einen äußerst unhöflichen Menschen halten. Meine Tochter humpelte. Sehr überzeugend, denn sie war eine gute Schauspielerin. Meine Hand lag immer noch am Hörer.
»Das gibt’s doch gar nicht«, rief Balke von hinten. Zu viert waren wir im großen BMW auf dem Weg nach Ziegelhausen. Wie üblich fuhr Vangelis wie der Teufel. Runkel saß neben Balke auf der Rückbank und schien ein Nickerchen zu halten. Die Straße führte am Neckarufer entlang. Ein weißes Ausflugsschiff fuhr langsam flussabwärts.
»Oh doch, das gibt’s«, rief ich zurück. »So was kann man sich regelrecht antrainieren. Sie müssen am Ende gar nicht mehr dran denken. So wie manche Leute ihren Kopf von einer Sprache auf die andere schalten können, so kann man mit einem bisschen Talent auch …«
»Aber dann müsste der ja zwei Jahre lang gehumpelt haben! Tag für Tag, Nacht für Nacht!«
»Ich bin überzeugt, er hat sogar gehumpelt, wenn weit und breit kein Mensch war. Wenn einer wirklich will, dann geht das. Und dass Krahl willensstark ist, hat er bewiesen.«
»Du meine Güte«, stöhnte Balke. »Da muss einer erst mal drauf kommen!«
Ich zückte meine Heckler & Koch, warf einen Blick auf das Magazin, schob es in den Griff zurück und lud durch.
Vangelis bog ab, der BMW fegte über die Neckarbrücke. Runkel, der offenbar in Ziegelhausen wohnte, gab mit müden Worten die Richtung an. Ich schaltete Martinshorn und Blaulicht aus. Mit quietschenden Reifen ging es über ein abenteuerlich kurviges und schmales Sträßchen den Berg hinauf. Eine halbe Minute später hielten wir vor einem adretten, sonnengelb gestrichenen Haus mit liebevoll gepflegtem Vorgärtchen.
»Oho«, begrüßte mich Professor Englisch sichtlich zufrieden. »Sollte ich Sie am Ende etwa doch überzeugt haben?«
»Ist er da?«, fragte ich atemlos.
»Leider ist Herr Grünlich, oder wie immer er heißen mag, gestern Abend abgereist.« Es war ihm anzusehen, wie er es genoss, mir die schlechte Nachricht zu servieren. »Er hatte ein großes Paket dabei sowie zwei Koffer. Er schien für längere Zeit verreisen zu wollen.«
»Was ist das für ein Auto?« Balke hatte das Handy schon in der Hand.
»Ich habe mich inzwischen kundig gemacht. Ein Mercedes, E-Klasse, silbermetallic, Kennzeichen … Johanna, wie war noch gleich die Nummer?«
Balke gab die Beschreibung von Krahls Wagen an die Leitstelle durch.
»Jetzt möchten Sie sicherlich einen Blick in seine Räumlichkeiten werfen«, meinte Englisch zuvorkommend.
Nein, das wollten wir ganz und gar nicht. Wir hetzten zum Wagen zurück. Balke
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