Heidelberger Requiem
ideale Temperatur zum Begründen einer Tradition? Und außerdem würden meine Leute mich natürlich längst im Büro erwarten, und ich war ohnehin schon reichlich spät dran wegen des Theaters mit den Mädchen. Schließlich zog ich die Sportsachen aus und stieg unter die Dusche.
Ich gebe ja zu, mein innerer Schweinehund hatte gesiegt. Aber man muss auch mal verlieren können als Mann.
Ersatzweise beschloss ich, wenigstens mit dem Rad ins Büro zu fahren. Aber das Vorderrad hatte einen Platten, und die Luftpumpe hatte ich in Karlsruhe vergessen.
Niemand erwartete mich im Büro. Bei der üblichen Lagebesprechung gab es deprimierend wenig Neues. Wieder einmal hatte es in der Nacht falschen Alarm gegeben. Ein armer Kleinkrimineller, der das Pech hatte, Krahl ähnlich zu sehen, war mit einigem Getöse in einer Bar in der Nähe des Bahnhofs verhaftet und inzwischen schon wieder freigelassen worden. Ich machte mich wieder an meine Akten, ließ mir von den Leuten Bericht erstatten, die die anderen Fälle bearbeiteten, die es schließlich auch noch gab. Wenigstens hier gab es den einen oder anderen Lichtblick. Die vermissten Vierzehnjährigen hatten es immerhin bis nach Marseille geschafft und dort sogar Arbeit in einer Lagerhalle im Hafen gefunden. Nun würden sie sich wieder an den Schulalltag gewöhnen müssen. Der Bankraub im Juli schien in eine Serie zu passen, die ganz Deutschland überzog. Man vermutete eine litauische Bande dahinter, und das LKA Niedersachsen hatte die Ermittlungen an sich gezogen, und wir durften die Sache vergessen, ohne unsere Aufklärungsstatistik zu verschlechtern. Zwei noch nicht strafmündige, dunkelhäutige Taschendiebinnen, die nur gebrochen Deutsch sprachen, waren auf frischer Tat ertappt worden. Nun wurde wie üblich versucht, ihre Personalien festzustellen, was mal wieder nicht gelingen würde. Wie immer würde man sie in ein Heim bringen, aus dem sie dann nach zwei Tagen ausbüxen würden. Und spätestens übernächste Woche würde das Spielchen von vorn beginnen.
Kurz nach zehn erschien Balke.
»Chef, ich möchte diesen Professor am liebsten sofort hopsnehmen«, stieß er hervor und warf sich auf den nächsten Stuhl. »Unsereiner ist so blöd und zahlt jeden Monat seine Steuern, und dieser …« Er verkniff sich das Schimpfwort und breitete ein paar Blätter auf meinem Tisch aus. »Diese Stiftung ist ein Schwindel von vorne bis hinten. Und Marvenport and Partners haben eine Achtzehn-Meter-Yacht in Livorno liegen!«
»Wir müssten eine Menge Leute in Haft nehmen, wenn der Besitz einer Yacht ein Straftatbestand wäre. Und wir wissen bis heute nicht mal, ob sie mit Grotheer wirklich was zu tun haben.«
Aber Balke ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die ihm diese edle Wohnung als Bumsbude zur Verfügung stellen, nur weil sie seine Nase so hübsch finden?« Er warf einen Blick auf seine Papiere. »Ich hab mir mal den Spaß gemacht, ein paar Dinge zu überprüfen. Unser lieber Professor ist zum Beispiel am sechsundzwanzigsten August nach Palo Alto geflogen, via New York und Cincinnati. Diese Tagung, der …« Er buchstabierte vom Blatt: »Dieser Interamerican Congress of Minimally Invasive Surgery hat tatsächlich am nächsten Tag, dem Mittwoch, begonnen, und Grotheer hat auch wirklich die Eröffnungsansprache gehalten, aber …« Er lehnte sich zurück und sah mir ins Gesicht.
»Aber?«
»Ich kenn ein Mädel, die studiert Anglistik und Amerikanische Literatur und jobbt regelmäßig im PX-Shop bei den Amis. Und die hat zufällig ’ne gute Freundin in Cincinnati, und die wiederum hat ’nen Freund, der bei der Einreisebehörde am Flughafen arbeitet.«
»Und?«
»Drei Stunden nach Ende seiner Ansprache hat Grotheer die USA schon wieder verlassen. Mit ’ner Alitalia-Maschine nach Rom.«
Ich beugte mich vor. »Rom?«
»Rom.« Er nickte und fächelte sich mit seinen Blättern Luft ins Gesicht. »Und es kommt noch besser: Am selben Tag ist auch seine Assistentin Frau Doktor Schmitz abgeflogen, morgens um halb sieben ab Frankfurt. Aber nicht etwa nach Palo Alto, wie sie behauptet hat, sondern nach Pisa. Die ist gar nicht erst auf dieser Tagung aufgetaucht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich kenn da ein Mädel …«
»Natürlich«, seufzte ich.
»Und Livorno liegt nun zufällig irgendwo zwischen Rom und Pisa. Was wollen wir wetten, dass die beiden sich da unten auf dieser Yacht ein paar ruhige Tage gegönnt haben? Auf Kosten von uns
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