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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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geschnittenen Kleids, ein dunkles Grün, harmonierte mit ihrem lockigen, rötlich-braunen Haar, das sie im Nacken zu einem losen Knoten gesteckt hatte. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Ihren Sohn hatte ich auf fünfundzwanzig geschätzt, also musste sie die vierzig schon hinter sich haben. Manche beneidenswerten Menschen altern eben langsamer als andere – ich zählte leider nicht dazu.
    Das graue Haus ihres Nachbarn in der Eppelheimer Goethestraße war Stein gewordener Durchschnitt. Nicht besonders klein, nicht auffallend groß. Nicht ärmlich, aber auch nicht teuer. Das zweistöckige Gebäude mit spitzem Giebel stammte vermutlich aus der Nachkriegszeit, als Wohnungsnot und knappe Mittel den Baustil diktierten. Ob es schon immer grau gewesen oder nur lange nicht gestrichen worden war, konnte ich nicht erkennen. Von den hölzernen Fensterrahmen blätterte der Anstrich.
    Rebecca Braun führte uns über einen halb zugewachsenen Kiesweg zum Hauseingang. Alles wucherte hier, blühte, wie es gerade passte.
    Damals hatte man sich noch ordentliche Grundstücke leisten können. Die neueren Häuser in der Umgebung standen auf deutlich kleineren Flächen. Dort wuchsen auch keine riesigen alten Bäume und ungebändigten Rosenbüsche wie hier. Die Familie Braun selbst bewohnte einen ebenso großzügigen wie gesichtslosen Bungalow, dessen regelmäßig gemähter Rasen an die Wildnis grenzte, die wir gerade durchquerten. Weiter hinten schimmerte nebenan bläulich ein Pool.
    Hier, bei Seligmann, schimmerte nichts.
    Das Wetter war endlich erträglich geworden. Nachdem es in den letzten Tagen fast ohne Pause geregnet hatte, wagte sich heute eine kraftlose Sonne heraus, und ich begann zu schwitzen, obwohl es noch keineswegs warm war. Dieser verwirrte Sommer wusste einfach nicht, wofür er sich entscheiden sollte. Aber das war kein Wunder, er war ja noch jung.
    Die Ähnlichkeit unserer Führerin mit ihrem Sohn war selbst von hinten unübersehbar. Auch sie war zart gebaut, hatte dasselbe weiche Haar, dieselbe sympathische Zurückhaltung und leichte Nervosität. Außer dem vielleicht etwas zu breiten Ehering trug sie keinerlei Schmuck. Ihr Parfüm war dezent und frisch wie das einer sehr jungen Frau.
    Als sie uns die Tür ihres verschwundenen Nachbarn aufschloss, zitterten ihre schmalen Hände.
    »Bitte«, sagte sie so verhalten, als würden wir einen heiligen Ort betreten, und ließ uns den Vortritt. Wir durchquerten einen im Dämmerlicht liegenden, schmucklosen Flur und betraten einen überraschend geräumigen Wohnraum. Hohe Bäume und ewig nicht beschnittene Büsche vor der Terrassentür und den beiden Fenstern verdunkelten das Zimmer. Hier war lange nicht gelüftet worden.
    »Puh«, seufzte Vangelis. »Wenn ich in dieser Finsternis wohnen müsste, würde ich auch eines Tages auf Nimmerwiedersehen verschwinden.«
    Frau Braun drückte einen Lichtschalter, Energiesparbirnen flackerten auf, und es wurde ein wenig heller. Das Erste, was mir ins Auge fiel, waren die Terrarien, eines neben dem anderen, die ganze Seitenwand entlang. Dort raschelte es hin und wieder, aber Tiere konnte ich aus der Entfernung keine entdecken. Dennoch grauste mir vor diesen gläsernen Gefängnissen.
    Der Rest der Einrichtung war schlicht, ein wenig heruntergekommen, jedoch nicht verwahrlost. In weitläufigen Regalen standen und lagen Bücher über Bücher in sehenswerter Unordnung. Eine in die Jahre gekommene, ehemals kostbare Stereoanlage mit riesigen Boxen, achtlos hingeworfen ein guter Sennheiser-Kopfhörer, daneben eine beeindruckende Sammlung von Langspielplatten, auch einige wenige CDs. Ansonsten angenehm wenig Technik. Der Fernseher stammte vermutlich noch aus der Zeit der Außerparlamentarischen Opposition, das grüne Telefon mit schwarzen Tasten hing noch an einer Schnur. In diesem Haus schien die Zeit vor vielen Jahren zum Stillstand gekommen zu sein.
    Wir betraten die altmodisch und zweckmäßig eingerichtete Küche.
    »Sehen Sie«, sagte unsere Führerin im Flüsterton. »Das ist doch Blut, nicht?« Mit Schaudern deutete sie auf einige große, dunkle Flecken auf den blassgrauen, an vielen Stellen gesprungenen Fliesen. Im Raum hing ein Geruch, als gehörte der Mülleimer dringend geleert.
    Vangelis ging mit einem unterdrückten Seufzer in die Hocke. Vielleicht hatte sie auch Verletzungen an Stellen, die man nicht sah?
    »Haben Sie irgendetwas angefasst?«, war meine erste Frage an Frau Braun.
    Erschrocken verschränkte sie die Arme vor der Brust und

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