Heidenreich, Elke- Nero Corleone kehrt zurueck
wo war denn der vermaledeite Senf?
Sie suchte auf dem Gewürzregal, im Kühlschrank, schließlich fand sie ihn unten
im Küchenschrank bei den Nudeln, wo er nicht hingehörte — dieser Haushalt war noch
nicht perfekt. Der wird auch nie perfekt, dachte Isolde vergnügt, auf perfekt
kann ich verzichten, Hauptsache, es ist immer genug Liebe da, um mit Justus zu reden!
Und sie pfiff vergnügt vor sich hin, ging zurück zu ihrem Sauerkraut und — erstarrte.
Die Wurst war weg.
Das Sauerkraut stand da und dampfte,
der Kartoffelbrei lockte goldgelb, aber die Wurst war weg. Man sah Spuren auf dem
Tisch, auf dem Boden, Sauerkrautfäden, Fettflecken, die Spuren der Wurst verschwanden
im Garten.
Elsa?
»Elsa!«, rief Isolde wütend, und
Elsa sah furchtsam um die Ecke, furchtsam und wurstlos. Es war eindeutig: Elsa
war das nicht gewesen. Aber wer dann? Wer kommt blitzschnell in ein Haus, bei dem
die Tür zum Garten offen steht, nutzt den einzigen unbewachten Moment, ahnt, riecht,
weiß: Da ist eine Wurst, und schnappt zu und hast — du — nicht — gesehen?
Isolde wusste sofort: Es kam nur
einer für so eine Tat infrage, nur einer, dem sie das auch verzeihen würde, dass
ihr leckeres Essen nun so geschrumpft war ...
Mit weichen Knien setzte sie sich
an den Tisch, aß Sauerkraut und Kartoffelbrei ohne Wurst, trank ihr Bier, ließ die
Tür nicht aus den Augen. Elsa kam auf leichten Pfoten wieder herein und sprang aufs
Sofa, und mehr geschah nicht.
Mehr geschah zunächst nicht.
D ie Wurst blieb, natürlich, verschwunden.
Und ihr Verschwinden ließ sich nicht auf einen möglicherweise starken Windstoß
zurückführen oder auf die Kinder von Mariagrazia, die ihr einen Streich spielen
wollten, auch kein Eichhörnchen konnte es gewesen sein, und Zauberei schied definitiv
aus. Es war ...
Isolde dachte den Gedanken nicht
zu Ende, machte sich an den Abwasch und putzte die Wurst- und Sauerkrautspuren
von Tisch und Boden.
Dann setzte sie sich ans Klavier,
um sich ein bisschen zu beruhigen, und spielte ein schönes kleines Stück von Schubert,
das ihr inzwischen sogar ganz gut gelang. Umso empörender war es, dass Elsa sofort
aufstand und das Zimmer verließ. Bei Schubert! Ihr war das alles Katzenmusik, unerträglich
geradezu, und Isolde spielte mit leichter Wut weiter und versuchte sich an einem
kleinen Bondo von Mozart, und sie probierte aus und blätterte in den Noten und spielte
... und hatte auf einmal das Gefühl, jemand wäre hinter ihr. Jemand würde sie beobachten.
Sie spürte es ganz deutlich, da war etwas, jemand, und bohrte ihr einen Blick in
den Bücken, man spürt so was doch, oder?
Elsa konnte es nicht sein, die
hatte das Haus vor einer guten Viertelstunde beleidigt verlassen, und meist stromerte
sie dann so weit weg, dass sie das Klavier aber auch garantiert nicht mehr hören
konnte.
Isolde spielte weiter und drehte
sich dabei auf ihrem Klavierhocker ganz langsam um ... Da saß er.
Sie hörte auf zu spielen, ließ die
Hände sinken, sie sah ihn an, und er sah sie an. Nero Corleone, wenn man es übersetzt,
heißt es: Nero Löwenherz, Nero, der Mutige, der große Nero mit der weißen Pfote,
die sich alles nahm, was sie wollte. Er war alt geworden. Sein Fell war zerzaust
und nicht mehr so glänzend tiefschwarz wie früher, das linke Ohr zur Hälfte abgerissen.
Aber seine Augen waren groß und grün und furchtlos wie eh und je, seine rechte Vorderpfote
war weiß wie eh und je, und seine rosa Zunge leckte ums Mäulchen herum, die fette
Wurst hatte Spuren im Bart hinterlassen. Er saß auf dem Teppich wie eine Statue
und sah sie an. Isoldes Herz klopfte so laut, dass sie sicher war, er würde es hören,
und dann wollte sie »Nero!« sagen, aber sie bekam keinen Ton heraus.
Nero begann, sich in aller Buhe
zu putzen. Die weiße Pfote fuhr übers Gesicht, immer wieder, er hielt die Augen
fast geschlossen bei seiner Arbeit, aber sie sah genau, dass er sie anblinzelte.
»Nero, mein Herzallerliebster,
wo warst du all die Jahre?«, flüsterte Isolde, und Nero dachte: Na, wo werde ich
gewesen sein, im Himalaya? Auf den Balearen? Am Schwarzen Meer? Ich war hier in
Italien, sie stellt ja immer noch so dusselige Fragen wie damals!
M ein Nero«, sagte Isolde, und sie
weinte.
Jetzt heult sie schon wieder!,
dachte Nero. Ob sie noch so eine Wurst hat? Wenn nicht, ja, das wäre dann in der
Tat ein Grund zum Heulen.
Und in diesem Moment kam Elsa herein.
Sie sah Nero, blieb erschrocken stehen, ihr Fell sträubte
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