Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)

vergessen, dass Heidi mehrmals in ihrem Leben Dinge vollbracht hat, die andere für unerreichbar gehalten haben. Sie hat sich über ihr Schicksal erhoben und ihr Glück durch eigene Tatkraft geschmiedet, anstatt darauf zu warten, dass es ihr in den Schoss fällt. Heidi ist hier keineswegs „normal“, sondern ein Mensch in einer Million. Sie ist etwas Außergewöhnliches. Altmodisch gesagt: Sie ist Halbgöttin und Untertan zugleich. Und vielleicht ist das der Schlüssel zum Verständnis ihres Erfolgs. Ihre Anmut und ihre Grazie sind das Ergebnis der alten Tugenden Demut, Ideenreichtum und Fleiß, und das nötigt uns Respekt ab. Zum Geheimnis ihres Erfolgs gehört aber auch die Bereitwilligkeit, für die Öffentlichkeit und ihre Fans viele Persönlichkeiten gleichzeitig darzustellen, und dabei dem Betrachter das Gefühl zu geben, selbst stellvertretend auf der Bühne zu stehen. Wo andere Topmodels wie Naomi Campbell für den Betrachter fremd und geheimnisvoll bleiben und sich keiner vorstellen kann, in ihre Rolle zu schlüpfen, lädt Heidis Offenheit, ihr Humor und ihre Anpassungsfähigkeit zu dieser Identifikation ein. So wird Heidi in unserer Fantasie eine von uns, und man selbst ein Star. Im Zentrum der öffentlichen Auftritte steht also Heidis Schauspielbegabung, die Bereitwilligkeit, in bestimmten Situationen die Erwartungshaltung und vielleicht auch Wünsche ihrer Mitmenschen zu erfüllen – und das unabhängig davon, wie erlesen oder ambitioniert oder auch banal diese sind. Und so erscheint sie bei dem Gastauftritt bei der versteckten Kamera als Verkäuferin den Kunden des Pizzaladens nur als Verkörperung einer Frau, die im Pizzaladen hinter dem Tresen steht, sonst nichts. Durchschnittlich geschminkt und mit Alltagsmiene ist es undenkbar, dass eines der höchst bezahlten Topmodels der Welt vor einem stehen soll, oder, wie der Kunde es anschließend nach der Aufdeckung formuliert: „Für mich sah sie aus wie eines dieser ganz normalen, typischen Los-Angeles-Girls, die einem tierisch auf die Nerven gehen.“ Diese Fähigkeit, wie ein Chamäleon die Farbe zu wechseln und immer die zu sein, die jemand in einer gegebenen Situation erwartet, zieht sich als roter Faden durch Heidis Leben, selten aber eindrucksvoller als in jenem Moment, als Heidi auf dem Höhepunkt ihrer Popularität im Jahr 2004 an der Seite ihrer Freundin Tyra Banks zu einer Fernsehaufnahme bei CBS anreist. Die Security-Leute empfangen Tyra als Superstar, mit großer Zuvorkommenheit und einem Star angemessener Scheu. Heidi aber hält man, obwohl sie im Gespräch mit Tyra daherschlendert, für einen Teil des Begleittrosses des Stars: „Haar oder Make-Up?“ fragt man sie, was Heidi etwas ratlos antworten lässt: „Äh, Model.“
    Man kann an dieser Szene ganz deutlich ablesen, was Heidi Klum ausmacht. Sie wirkt nah, man kann sie angreifen, man kann mit ihr reden. Und wenn sie danach, auf der Bühne, geschminkt und gestylt, durch ihr Auftreten und ihr Aussehen mit den größten Models mithalten kann, und ebenso schön und eindrucksvoll ist, weckt sie im Betrachter das Gefühl, er verfüge selbst in seinem Inneren über die Möglichkeit, auf etwas Göttliches zuzugreifen, dass ihn selbst zum Star machen könnte. Die Marke Heidi Klum ist also ein uneinlösbares Versprechen, eine Verheißung, die sich auch für Heidi nur vorübergehend verwirklichen kann. Denn sie selbst ist wie Marilyn Monroe, die einmal davon sprach, sich selbst auch nur zwischendurch spielen zu können, ist nur Heidi-Klum-Darstellerin. Privat dagegen ist Heidi Klum jemand, die anonym bleibt und ohne Probleme durch jede deutsche Innenstadt gegen kann, ohne erkannt zu werden. Selbst in ihrer rheinischen Heimat, in der sie der einzige Superstar weit und breit ist, sogar in ihrem Stammlokal, dem „Hähnchen-Ewald“ in Kürten, weiß der Besitzer: „Wenn sie nicht zurechtgemacht ist, erkennen die Gäste sie manchmal gar nicht.“ Und das gehört ja auch zu den großen Vorteilen einer Heidi Klum: Eben nicht wie viele andere Menschen in der Öffentlichkeit unwandelbar zu sein und dadurch auch etwas zu werden, an dem man sich „tot“ sehen kann.
    Das Geheimnis der Heidi Klum liegt also in dieser Wandlungsfähigkeit, die den Betrachter zu verschiedensten Arten der Identifikation einlädt. So kann Heidi alles sein, was eine Frau ausmacht, oder, wie sie es selbst in ihrem Buch „Heidi Klum. Natürlich erfolgreich“ ausdrückt: Die ultimative Frau. Was aber ist die Essenz, das