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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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erschienen war.
    Stineli hatte aber auch eine unerschöpfliche Fundgrube von Unterhaltungen, und alles, was es nur in die Hand nahm, und was es tat und sagte, wurde zur anmutigsten Kurzweil für den Silvio, denn das Stineli hatte sich von ganz klein auf nach den kleinen Kindern richten müssen und immerfort darauf bedacht sein, sie zufrieden zu erhalten mit Worten und Händen und Blicken und auf jegliche Weise mit jeder Bewegung.
    So war Stineli unbewußt in seinem Sein und ganzen Wesen schon die allerangenehmste Unterhaltung, die es für ein kleines, empfindliches, an sein Bettchen gefesseltes Büblein nur geben konnte. Das gelehrige Stineli hatte auch bald dem Silvio alle seine Worte abgelauscht und schwatzte ganz unverzagt mit Silvio drauf los, und wo es die Worte noch verkehrte, da hatte der Silvio einen Hauptspaß daran, und die Sache war für ihn wie ein absichtlich erfundenes Vergnügen.
    Die Mutter konnte nie den Rico in den Garten treten sehen, ohne daß sie ihm entgegenlief, denn jetzt durfte sie laufen, wohin sie nur wollte und wann es ihr gefiel, und sie mußte ihn noch ein wenig auf die Seite nehmen, um ihm zu sagen, welchen Schatz er ihr ins Haus gebracht habe, wie glücklich und froh der kleine Silvio sei, wie in seinem ganzen armen Leben noch nie, und wie sie nur gar nicht begreife, daß es ein solches Mädchen geben könne: mit dem Silvio sei es ganz kindlich und gerade so, als habe es selbst die größte Freude an den Dingen, die dem Büblein Kurzweil machten; mit ihr könne es so vernünftig reden und habe eine Erfahrung in der Arbeit und im Einrichten, wie kaum eine Frau; und seit sie dieses Stineli im Hause habe, gehe alles wie von selbst und sie habe alle Tage Sonntag. Kurz, Frau Menotti konnte gar nicht genug Worte finden, um das Stineli in allen seinen Eigenschaften zu bewundern und zu loben, und der Rico hörte ihr gern zu.
    Wenn sie dann alle drinnen beisammensaßen und immer eins das andere freundlicher ansah, so als wollte keines mehr gern vom anderen weggehen, dann hätte man denken müssen, das seien die glücklichsten Menschen weit umher, denen nichts mehr mangele. Aber mit jedem Abend wurde die Wolke auf Ricos Gesicht ein wenig dunkler und schwärzer, sobald es zehn Uhr schlug, und wenn es auch Frau Menotti in ihrer frohen Stimmung nicht merkte, so sah es doch das Stineli ganz gut und heimlich bekümmerte es sich und dachte: »Es ist, wie wenn ein Gewitter kommen wollte!«
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Neunzehntes Kapitel.
Wolken am schönen Gardasee.
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    Es kam ein schöner Herbstsonntag, und drüben in Riva sollte am Abend Tanz sein und Rico hinüberfahren, um zu spielen. So konnte er den Tag nicht mit Stineli und den anderen zubringen; das war schon mehrmals verhandelt worden die Woche durch, denn es war ein Ereignis für alle, wenn Rico nicht kam, und Stineli suchte alles mögliche hervor, um der Sache noch eine gute Seite abzugewinnen: »Du fährst dann im Sonnenschein über den See und kommst unter dem Sternenhimmel wieder zurück, und wir denken die ganze Zeit an dich«, hatte es ihm gesagt, als er zuerst anzeigte, daß ein Tanzsonntag folge.
    Rico kam am Samstagabend mit seiner Geige, denn Stinelis größte Freude war sein Spiel. Rico spielte schöne Weisen, eine nach der anderen, aber sie waren alle traurig, und es war auch, als machten sie ihn wieder traurig, denn er schaute auf seine Geige mit einer Düsterkeit, als tue sie ihm das größte Leid an.
    Auf einmal steckte er seinen Bogen weg, lang noch ehe es zehn geschlagen hatte, und sagte: »Ich will gehen.«
    Frau Menotti wollte ihn festhalten, sie begriff nicht, was ihm einfiel. Stineli hatte ihn immer angesehen, während er spielte; jetzt sagte es nur: »Ich gehe noch ein paar Schritte mit dir.«
    »Nein!« rief Silvio, »geh nicht fort, bleib da, Stineli!«
    »Ja, ja, Stineli«, sagte Rico, »bleib du nur da und laß mich gehen!«
    Dabei sah er Stineli gerade so an wie damals, als er vom Lehrer weg dem Holzstoß zu kam und sagte: »Es ist alles verloren!«
    Stineli ging zu Silvios Bett und sagte leise: »Sei brav, Silvio; morgen erzähl’ ich dir die allerlustigste Geschichte vom Peterli, aber mach jetzt keinen Lärm.«
    Silvio hielt sich wirklich still, und Stineli ging dem Rico nach. Als sie am Gartenzaun standen, kehrte Rico sich um und deutete auf die erleuchtete Stube, die so wohnlich aussah vom Garten her, und sagte:
    »Geh wieder, Stineli; dort gehörst du hinein und bist daheim dort, und ich gehöre auf die Straße, ich bin nur ein

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