Heidi und andere klassische Kindergeschichten
sein. Wer ist das Wiseli?« – »Du kannst das Kind und seine Mutter kaum kennen«, sagte die Mama, zu ihrem Manne gewandt; »aber der Onkel Max kennt Wiselis Mutter recht gut. Du kannst dich doch noch auf den mageren Leineweber besinnen, Max, der unser Nachbar war. Er hatte ein einziges Kind mit großen braunen Augen, das oft bei uns im Pfarrhaus war und so schön singen konnte; kommt dir da die Erinnerung daran wieder?«
Bevor aber die weiteren Erinnerungen zur Verhandlung kamen, steckte die alte Trine ihren Kopf zur Tür herein und rief: »Der Schreiner Andres möchte gern der Frau Oberst einen Bericht abgeben, wenn er nicht stört.« Diese harmlosen Worte bewirkten eine wahre Verheerung in der Gesellschaft. Die Mutter legte den Servierlöffel, mit dem sie soeben dem Onkel entgegenkommen wollte, beiseite, sagte eilig: »Um Entschuldigung, ihr Herren!« und ging davon. Otto sprang so stürmisch auf, daß er seinen Stuhl hintenhinaus warf und dann selbst darüber stürzte, als er fortgaloppieren wollte. Das Miezchen hatte ähnliche Taten vor, aber der Onkel hatte seine ersten Bewegungen zum Aufruhr gesehen und hielt es nun mit beiden Armen fest. Aber es zappelte jämmerlich und schrie: »Laß los, Onkel, laß los. Im Ernst, ich muß gehen.«
»Wohin denn, Miezchen?«
»Zum Schreiner Andres. Laß schnell los! Hilf, Papa, hilf!«
»Wenn du mir sagst, was du vom Schreiner Andres willst, so lass’ ich dich los.«
»Das Schaf hat nur noch zwei Beine und keinen Schwanz, und nur der Schreiner Andres kann ihm helfen. Jetzt laß los.« Nun stürmte auch das Miezchen fort. Die Herren schauten einander an, und Onkel Max schlug ein helles Gelächter auf und rief: »Wer ist denn der Schreiner Andres, um den deine ganze Familie sich zu reißen scheint?«
»Das mußt du besser wissen als ich«, entgegnete der Oberst; »es wird wohl ein Jugendfreund von dir sein, und das Fieber der Verehrung wird auch dich noch ergreifen, es muß in eurer Familie sein, bei uns hat es die Mutter verbreitet. Ich kann dir so viel sagen, daß der Schreiner Andres völlig der Grundstein meines Hauses ist, auf dem alles feststeht und entschieden auseinandergehen würde, sollte dem Hause dieser Halt entkommen. Der Schreiner Andres ist hier Rat, Trost, Heil und Hilfe in der Bedrängnis. Strebt meine Frau nach einem Hausgerät, von dem sie gar nicht weiß, wie es aussehen soll, noch wozu man es braucht, – der Schreiner Andres erfindet es und schafft es zur Stelle. Bricht Feuers-oder Wassersnot in der Küche oder im Waschhaus los, – der Schreiner Andres greift in die Elemente und bringt das Feuer ins Stocken und das Wasser in Fluß. Macht mein Sohn einen recht dummen Streich, – der Schreiner Andres dreht ihn wieder zurecht. Schmeißt meine Tochter das sämtliche Hausgeräte entzwei, – der Schreiner Andres leimt es wieder zusammen. So ist der Schreiner Andres recht eigentlich die stützende Säule meines Hauses, und wenn diese zusammenbrechen würde, so gingen wir alle in Trümmer.«
Die Mutter war unterdessen wieder eingetreten, und wohl zu ihrem Besten schilderte der Vater die Verdienste des Schreiners Andres so eingehend. Onkel Max lachte, daß es schallte.
»Lacht ihr nur! Lacht ihr nur!« sagte die Mutter. »Ich weiß schon, was ich an dem Schreiner Andres habe.«
»Und ich auch«, bemerkte der Vater mit spöttischem Lächeln.
»Und ich auch!« behauptete das Miezchen herzhaft, das wieder auf seinem Platze saß.
»Und ich auch!« brummte der Otto, dem der Knöchel noch sauste von seinem Sturz über den Stuhl hin.
»So, nun sind wir alle einer Meinung«, bemerkte die Mutter, »nun können die Kinder in Frieden zu Bette gehen.« Auf diese Anzeige hin drohte dem Frieden gleich eine Störung; aber es half nichts, die alte Trine stand schon vor der Tür und wachte, daß die Hausordnung nicht überschritten werde. Die Kinder mußten abtreten, und gleich nachher verschwand die Mutter auch noch einmal, denn die Kinder schliefen nicht ein, ohne daß die Mutter zum Nachtgebet noch an ihre Betten gekommen war.
Als nun alles still und ruhig war, kam die Mutter wieder zu den Herren zurück und setzte sich nun so recht zum Bleiben hin.
»Endlich«, sagte da der Oberst hoch aufatmend, als habe er die Feinde hinter sich. »Siehst du, Max, erst gehört meine Frau dem Schreiner Andres, dann ihren Kindern und dann ihrem Mann, wenn noch etwas übrig bleibt.«
»Und siehst du, Max«, sagte die Mutter lachend, »wenn mein Mann noch so arg höhnt: er
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