Heidi und andere klassische Kindergeschichten
versprochen habe, der seit kurzer Zeit im Dorfe wohnte, und daß sie gleich heiraten könnten, da er eine gute Anstellung habe unten in der Fabrik, und so hätten sie denn schon alles festgesetzt, daß sie gleich in zwölf Tagen zusammenkommen könnten. Ich war so erstaunt, und so traurig kam mir die Sache vor, daß ich kein Wort sagen konnte; eine Zeitlang sagte die Mutter auch nichts, sie sah ganz bekümmert aus. Dann aber sprach sie ernstlich mit dem Wisi und stellte ihm vor, wie leichtsinnig es sei, daß es sich so schnell mit dem Fabrikarbeiter eingelassen habe, es kenne ihn ja kaum, und da sei doch ein anderer, der ihm jahrelang nachgegangen sei und ihm gezeigt habe, wie lieb es ihm sei, und zuletzt fragte sie es dringend, ob denn nicht alles noch rückgängig gemacht werden, oder doch eine gute Zeit lang hinausgeschoben werden und es noch bei seinem Vater bleiben könnte, es sei ja noch so jung. Da fing es denn zu weinen an und sagte, es habe ja ganz bestimmt sein Wort gegeben, und alles sei eingerichtet auf die Zeit, und dem Vater sei’s recht. Nun sagte die Mutter nichts mehr, aber das arme Wisi weinte immer ärger; da nahm sie es denn bei der Hand und zog es zum Klavier hin, an den Platz, wo es immer stand, wenn wir zusammen sangen, und sagte in ihrem freundlichen Ton zu ihm: ›Trockne nun deine Tränen, wir wollen noch einmal zusammen singen‹; dann schlug sie uns das Lied auf und wir sangen zusammen:
›Befiehl du deine Wege, Und was dein Herze kränkt,Der allertreusten PflegeDes, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden Gibt Wege, Lauf und Bahn,Der wird auch Wege finden,Da dein Fuß gehen kann.‹
Wisi ging dann wieder ziemlich getröstet von uns, die Mutter hatte ihm noch einige freundliche Worte gesagt; aber mich hatte die Sache recht traurig gemacht, ich hatte ein ganz bestimmtes Gefühl, daß das arme Wisi seine frohen Tage nun hinter sich hatte, und dann dauerte mich der Andres unsäglich; was würde der sagen? Er sagte aber nie etwas, gar kein Wort, aber ein paar Jahre lang ging er herum wie ein Schatten und war noch stiller geworden als vorher, ich habe auch seither nie mehr sein still-fröhliches Gesicht gesehen, wie er es damals doch oft haben konnte.«
»Der arme Kerl!« rief Onkel Max aus; »hat er denn keine andere Frau genommen?« – »Ach nein, Max«, entgegnete seine Schwester ein wenig strafend, »wie konnte er denn, wie kannst du so etwas sagen, er ist ja die Treue selbst.« – »Das konnte ich ja nicht wissen, liebe Schwester«, erwiderte der Bruder begütigend; »ich konnte doch nicht voraussehen, daß dein vielseitig begabter Freund nun auch noch die Unwandelbarkeit an sich trägt. Aber das Wisi, erzähl weiter von dem, ich hoffe wirklich, das lustige Wisi ist nicht unglücklich geworden, es würde mich arg dauern.« – »Ich merke schon, Max«, sagte die Schwester, »daß du heimlich es mit dem Wisi hältst und kein Mitleid hast mit dem treuen Andres, dem es doch fast das Herz abgedrückt hat, daß das Wisi für ihn verloren war.« – »Doch, doch«, versicherte der Onkel, »ich habe ja alle Teilnahme für den Ehrenmann; aber weiter, wie ging’s mit dem Wisi, es hat doch seine lustigen Augen nicht verweint?« – »Doch, ich glaube manchmal wohl«, fuhr die Schwester fort; »ich habe es nicht mehr oft gesehen, es hatte gleich viel zu tun; ich glaube, der Mann war nicht eben böse, aber er hatte etwas Rohes, er konnte so grob und unfreundlich sein, auch mit seinen kleinen Kindern schon; Wisi hatte gewiß wenig Freude mehr. Er hatte mehrere nette Kinder, aber sie waren alle sehr zart, es verlor sie wieder eins nach dem anderen; fünf hatte es begraben müssen, nur ein einziges ist ihm geblieben, ein feines, zartes Geschöpfchen, ein kleines Wiseli, es ist nicht viel größer als unser Miezchen und ist doch gut drei Jahre älter. Wisis Gesundheit hatte durch das alles so gelitten, daß man deutlich sehen konnte, was kommen würde, und nun ist es auch da, eine schnelle Auszehrung rafft ihr Leben hin; ich fürchte, es ist gar keine Hoffnung mehr.« – »Nein«, rief Onkel Max ganz erschrocken aus, »das kann doch nicht sein, ist’s wirklich so? Kann man da nichts machen, Marie? Wir wollen doch gleich nachsehen, vielleicht ist noch zu helfen.« – »Ach nein, da ist nicht mehr zu helfen«, sagte die Schwester traurig; »da war überhaupt nicht mehr zu helfen. Wisi war für all’ die Arbeit und Anstrengung viel zu zart.« – »Und was macht nun der Mann?« fragte
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