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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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waren, und so ging es das ganze Jahr durch immerfort; wie sich dann aber die Freundschaft zu dem erstaunlich hohen Grad entwickelt hat, wo sie nun angelangt ist, das muß meine Schwester wissen und uns mitteilen.« – Der Oberst hatte seine Freude an der Geschichte der Tränen und der Veilchen und forderte seine Frau auf, weiter zu erzählen. Sie sagte mit Lachen: »Erdbeeren und Veilchen blühen deiner Ansicht nach das ganze Jahr durch, Max; das ist aber nicht ganz so. Hingegen wurde der gute Andres wirklich das ganze Jahr durch nicht müde, mir irgend etwas Erfreuliches aus Feld und Wald aufzufinden und an meinen Platz zu legen, solange wir miteinander zur Schule gingen. Er trat dann lange vor mir aus und kam in die Lehre zu einem Schreiner nach der Stadt; er kam dann immer öfter nach Hause, ich verlor ihn nie ganz aus den Augen, und als mein Mann dies Gut kaufte und wir uns eben verheiratet hatten, handelte es sich darum, daß Andres sich etwas ankaufen und sichselbständig niederlassen wollte; er hatte seine Eltern verloren und stand ganz allein, aber als ein tüchtiger Arbeiter da. Er hatte seine Augen auf das Häuschen mit dem sauberen kleinen Garten dort unterhalb der Kirche gerichtet, konnte es aber nicht ankaufen, da der Verkäufer sogleich bares Geld haben und Andres erst solches durch seine Arbeit gewinnen mußte. Aber wir kannten ihn und seine Arbeit. Mein Mann kaufte das Gütchen an für ihn, und er hat es keinen Augenblick zu bereuen gehabt.« – »Nein, wahrhaftig nicht«, fiel hier der Oberst ein; »der brave Andres hat längst sein Gut vollständig abgezahlt und seither bringt er mir jedes Jahr um diese Zeit eine ganz hübsche Summe, den Gewinn seiner Jahresarbeit; die lege ich ihm gut an und habe meine Freude an dem Gedeihen des wackeren Menschen. Er ist jetzt schon ein ganz wohlhabender Mann, und nun nimmt sein Besitztum jährlich sehr zu, er kann sein Häuschen noch zu einem großen Haus machen, der brave Andres; es ist nur schade, daß er wie ein Einsiedler lebt und darum sein erarbeitetes Gut gar nicht genießen kann.« – »Hat er denn keine Frau und Familie, und wo ist der bitterböse Jörg schließlich hingekommen?« fragte Onkel Max weiter. – »Nein, er hat gar niemanden«, antwortete die Schwester, »er lebt völlig allein, wirklich wie ein Einsiedler. Er hat eine lange, traurige Geschichte erlebt, die ich mit angesehen habe, und die ihm gewiß alle Lust benommen hat, je eine Frau zu suchen. Der Bruder Jörg hat erst hier einige Jahre herumvagabondiert, hat nie gearbeitet, sondern gehofft, durch furchtbares Schimpfen auf alle diejenigen, die keine Lumpe waren wie er, endlich doch noch sein Glück zu machen, und als ihm dies nicht gelang, auch der gute Andres ihm endlich nicht mehr aus seinen Schulden und allem Bösen heraushelfen konnte und auch nicht mehr wollte, da ist er verschwunden, wohin, hat man nie recht gewußt; jedermann war froh, daß er nur fort war.« – »Was war denn die traurige Geschichte, Marie?« fragte der Bruder; »die muß ich auch noch wissen.« »Und ich auch«, sagte der Oberst und zündete zu der Erzählung vergnüglich eine neue Zigarre an.
    »Aber Mann«, bemerkte die Frau Oberst, »dir habe ich dieses Erlebnis wohl schon sechsmal erzählt.« – »So?« entgegnete ruhig der Oberst; »es gefällt mir, wie es scheint.« – »So fang an!« ermunterte der Onkel. – »Du mußt dich noch jenes Kindes erinnern können, Max«, begann seine Schwester, »von dem ich heut’ abend schon einmal gesprochen habe, das ganz in unserer Nähe wohnte. Es gehörte dem bleichen, mageren Leineweber an, den wir immerfort sein Weberschifflein hin-und herwerfen hörten, wenn wir in unserem Garten standen. Das Kind sah zart und nett aus und hatte große, lustig glänzende Augen und so schöne braune Haare. Es hieß Aloise.« – »In meinem Leben habe ich keine Aloise gekannt«, warf Onkel Max ein. – »O, ich weiß schon warum«, fuhr seine Schwester fort, »wir nannten sie auch nie so, besonders du nicht; Wisi nannten wir sie, zum Schrecken unserer seligen Mama. Weißt du denn nicht mehr, wie oft du selbst sagtest, wenn wir am Klavier Lieder singen wollten mit Mama und es so leise tönte: ›Man muß das Wisi holen, sonst geht’s nicht?‹« – Jetzt stieg die Erinnerung mit einem Male in Onkel Maxens Gedächtnis auf; er lachte hell heraus und rief: »O, das ist’s, das Wisi, ja gewiß, das Wisi kenn’ ich wohl, ich seh’ es deutlich vor Augen mit dem lustigen Gesicht,

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