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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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alles, was ich seit dreißig Jahren erspart und erarbeitet habe, gäbe ich seinem Vetter-Götti, wenn er mir das Kind ließe.«
    Die Frau Oberst hatte den aufgeregten Andres ganz fertig reden lassen; jetzt sagte sie ruhig: »Das würde ich nicht tun an Eurer Stelle, ich würde es ganz anders machen.«
    Andres schaute sie fragend an.
    »Seht, Andres, so würde ich es machen: ich würde sagen: ›All’ mein wohlverdientes Gut will ich jemandem zurücklassen, der mir lieb ist. Ich will das Wiseli an Kindes Statt annehmen, ich will sein Vater sein, und es soll von Stund an als mein Kind in meinem Hause bleiben.‹ Würde es Euch nicht gefallen so, Andres?«
    Der Andres hatte lautlos zugehört und seine Augen waren immer größer geworden. Jetzt ergriff er vor Bewegung die Hand der Frau Oberst und drückte sie gewaltig zusammen, dann keuchte er hervor:
    »Kann man das wirklich machen? Könnte ich das mit dem Wiseli tun, so daß ich sagen könnte: das Wiseli ist mein Kind, mein eigenes Kind, und niemand hat mehr ein Recht an das Kind, und kein Mensch kann es mir mehr nehmen?«
    »Das könnt Ihr, Andres«, versicherte die Frau Oberst, »geradeso! Sobald das Wiseli Euer Kind ist, hat kein Mensch mehr ein Recht auf das Kind, Ihr seid der Vater. Und seht, Andres, weil ich mir gedacht hatte, Ihr könntet den Wunsch haben, das Wiseli zu behalten, so habe ich meinen Mann gebeten, heute nicht fortzugehen, im Fall Ihr etwa gern gleich nach der Stadt in die Kanzlei fahren würdet, daß alles bald festgesetzt werde, denn zu Fuß könnt Ihr noch nicht gehen.«
    Andres wußte gar nicht, was er tat vor Aufregung und Freude. Er lief dahin und dorthin und suchte den Sonntagsrock; dann rief er ein Mal ums andere: »Ist es auch sicher wahr? Kann’s auch sein?« Dann stand er wieder vor die Frau Oberst hin und fragte: »Kann es jetzt sein, gleich jetzt, heut’ noch?«
    »Gleich jetzt«, versicherte sie; doch gab sie nun dem Schreiner Andres die Hand zum Abschied, sie mußte gehen und ihrem Manne mitteilen, daß Andres schon reisefertig sei.
    »Ihr solltet es dem Wiseli erst am Abend sagen, wenn alles gut eingeleitet ist und Ihr wieder ruhig daheim seid«, bemerkte die Frau Oberst noch unter der Tür; »meint Ihr nicht?«
    »Ja, sicher, sicher«, gab Andres zur Antwort; »jetzt könnt’ ich’s fast nicht sagen.«
    Als die Tür sich schloß, setzte sich Andres auf seinen Stuhl nieder und zitterte an Händen und Füßen so sehr, daß er meinte, er könne nie mehr davon aufstehen, so war ihm die Freude und Aufregung in alle Glieder gefahren. Es währte aber kaum eine halbe Stunde, da kam schon des Obersten Wagen angefahren und hielt still am Gärtchen des Schreiners, und zu Wiselis unbeschreiblichem Erstaunen stieg der Knecht von seinem Sitz herunter, kam herein, und nach wenigen Minuten sah es, wie er wieder herauskam, den Schreiner Andres mit beiden Armen festhielt und ihm dann in den Wagen hinein half. Wiseli schaute dem Fuhrwerk nach, als bewege sich etwas Unfaßliches vor seinen Augen, denn der Schreiner Andres hatte kein Wort mehr zu ihm sagen können, nicht einmal, daß er ausfahren werde. So wie er sich niedergesetzt hatte, war er sitzen geblieben, bis der Knecht ihn herausholte, und das Wiseli hatte sich immer noch verborgen gehalten. Jetzt ging es in die Stube hinein und saß ans Fenster, wo sonst der Schreiner Andres saß, und konnte gar nichts anderes mehr denken als nur immerzu: »Heute ist der letzte Tag, und morgen muß ich zum Vetter-Götti.« Als der Mittag herankam, ging Wiseli in die Küche hinaus und machte zurecht, was der Andres essen sollte; aber er kam nicht, und es wollte nichts berühren, bis er auch dabei war. So ging es wieder hinein, und auf der Stelle stand der traurige Gedanke wieder vor ihm und es mußte ihm wieder nachhangen. Aber endlich wurde es so müde davon, daß sein Kopf ihm auf die Schulter fiel und es fest einschlief; aber noch im Schlaf mußte es immer sagen: »Und morgen muß ich zum Vetter-Götti.« Und Wiseli sah nicht, wie leise der helle Abendschein in die Stube hineinfiel und einen schönen Tag verkündigte.
    Wiseli schoß auf, als jemand die Stubentür öffnete; es war der Schreiner Andres. Das Glück leuchtete ihm aus den Augen wie heller Sonnenschein, so hatte ihn Wiseli noch nie gesehen. Es schaute verwundert zu ihm auf. Jetzt mußte er auf seinen Stuhl sitzen und Atem holen vor Bewegung, nicht vor Erschöpfung; dann rief er mit triumphierender Stimme:
    »Es ist wahr, Wiseli, es ist alles

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