Heidi und andere klassische Kindergeschichten
erinnern, wenn er es etwa vergessen sollte. Denn das war ein Hauptfest für sie. Das war der Tag, an dem der Franz Anton seine frischen Käse rundum beschnitt, nachdem diese als weiche Masse in die runde, hölzerne Form gepreßt worden waren. Was nun zwischen dem pressenden Gewicht und der festen Form sich von der Masse herausdrängte, wurde abgeschnitten und war anzusehen wie eine lange, schneeweiße Wurst. Die wurde dann in viele Stücke gebrochen und von dem freundlichen Sennen unter die Kinder verteilt. Das waren dann die sogenannten Käsfische. Dieses Fest wiederholte sich den Sommer über alle vierzehn Tage und wurde jedesmal mit lautem Freudengeschrei begrüßt.
This hatte sich hinter dem großen Distelbusch am Boden versteckt gehalten, während die Verhandlung vor sich ging. Er gab keinen Ton von sich und blieb unbeweglich in derselben Stellung, bis er hörte, daß die große Schar davonlief. Jetzt guckte er vorsichtig ein wenig hervor. Die drei grollenden Zurückgebliebenen saßen am Boden und kehrten ihm den Rücken zu. Die anderen waren schon ein gutes Stück die Alm hinaufgekommen, ihr Rufen und Jubeln schallte lustig von der Höhe hernieder. Den This erfaßte ein unwiderstehliches Verlangen, auch an der Käsfischfahrt teilzunehmen. Ganz behende schlüpfte er hinter dem Busch hervor, und leise und leicht wie ein Wiesel glitt er hinter den drei Unzufriedenen vorbei und den Berg hinauf. Nach dem letzten steilen Hang kam eine kleine, glänzend grüne Hochebene, da stand die Sennhütte. Und wenige Schritte davon entfernt rauschte der klare Schwemmebach nieder. Dort in der Tür seiner Hütte stand der Franz Anton mit seinem runden, freundlichen Gesicht. Er lachte über die vielen Sprünge, die jetzt die Buben und Mädchen in ihrem Eifer, zu dem ersehnten Genuß zu gelangen, auf allen Seiten machten. Jetzt waren sie alle bei der Hütte und eines drängte das andere vorwärts, um noch näher dabei zu sein, wenn die Teilung beginnen würde.
“Nur zahm, nur zahm”, lachte jetzt der Franz Anton. “Wenn ihr alle in die Hütte hineindrängt, so habe ich keinen Platz mehr zum Käseschneiden und ihr habt den Schaden.” Jetzt nahm er sein festes Messer zur Hand und trat an den großen, runden Käse heran, den er schon vorher auf dem Tischchen zurecht gelegt hatte. Das Schneiden ging rasch vor sich. Dann kam er mit der langen, dicken, schneeweißen Schnur heran. Nun teilte er sie und reichte hier ein Stück und da ein Stück, oft über die Köpfe der Großen weg den Kleinen, die nicht zu ihm vordringen konnten. Denn der Franz Anton war gerecht in seiner Teilung.
This hatte ganz hinten gestanden, und wenn er ein wenig vordringen wollte, so bekam er da einen Stoß und dort einen und flog so von einer Seite zur anderen. Der Franz Anton sah ihn auch gar nicht, weil immer wieder ein Größerer und Dickerer sich vor ihn drängte. Zuletzt bekam er einen so ungeheuren Stoß von dem breiten, nach allen Seiten schlagenden Jopp, daß er sich fast überschlagen hätte. Die Teilung war auch schon fast zu Ende, und der This sah wohl, daß er zu keinem Stückchen Käsfisch gelangen konnte, so wollte er doch auch keine Schläge mehr. Er ging ein paar Schritte weiter hinunter, wo die jungen Tannen standen und setzte sich auf den Boden zwischen den Bäumchen. Auf der höchsten Krone des einen saß ein lustiger, kleiner Vogel und pfiff so fröhlich in die helle, sonnige Luft hinauf, als gäbe es gar nichts anderes auf der Welt als blauen Himmel und Sonnenschein. Das machte dem This das Herz so froh, daß er fast das Leid vergaß, das ihm eben geschehen war.
Von Zeit zu Zeit mußte er nach der Sennhütte hinüberschauen, denn das Lärmen und Jauchzen, wenn immer einer dem anderen sein Stück Käsfisch wieder abgejagt hatte, nahm kein Ende. Dann sah er immer noch, wie jedes Kind mit einem größeren oder kleineren Brocken der schönen, weißen Masse dastand und mit Wonne hineinbiß. Er seufzte dann ein wenig und sagte leise: “Wenn ich nur auch einmal ein einziges Stücklein bekäme!” Der This hatte niemals von den herrlichen, weißen Käsfischen gekostet, denn noch nie hatte er es gewagt, so weit wie heute in die Schar der Glücklichen einzudringen. Jetzt hatte er gesehen, daß es ihm doch nichts half, wenn er auch allen Mut zusammenraffte. Und so kam er zu dem traurigen Schlußgedanken, daß er sein Leben lang nie einen Käsfisch bekommen werde. Darüber wurde er so traurig, daß er nicht einmal den Vogel mehr hörte und ganz
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