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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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Erstaunen Heidi von oben bis unten an, und ihr Blick blieb vorzüglich auf dem gefüllten roten Halstuch haften. Jetzt brach sie los.
    “Was ist das für ein Aufzug? Was heißt das überhaupt? Habe ich dir nicht streng verboten, je wieder herumzustreichen? Nun probierst du’s doch wieder und dazu noch völlig aussehend wie eine Landstreicherin.”
    “Ich wollte nicht herumstreichen, ich wollte nur heimgehen”, entgegnete Heidi erschrocken.
    “Wie? Was? Heimgehen? Heimgehen wolltest du?” Fräulein Rottenmeier schlug die Hände zusammen vor Aufregung. “Fortlaufen! Wenn das Herr Sesemann wüsste! Fortlaufen aus seinem Hause! Mach nicht, dass er das je erfährt! Und was ist dir denn nicht recht in seinem Hause? Wirst du nicht viel besser behandelt, als du verdienst? Fehlt es dir an irgendetwas? Hast du je in deinem ganzen Leben eine Wohnung oder einen Tisch oder eine Bedienung gehabt, wie du hier hast? Sag!”
    “Nein”, entgegnete Heidi.
    “Das weiß ich wohl!”, fuhr die Dame eifrig fort. “Nichts fehlt dir, gar nichts, du bist ein ganz unglaublich undankbares Kind, und vor lauter Wohlsein weißt du nicht, was du noch alles anstellen willst!”
    Aber jetzt kam dem Heidi alles obenauf, was in ihm war, und brach hervor: “Ich will ja nur heim, und wenn ich so lang nicht komme, so muss das Schneehöppli immer klagen, und die Großmutter erwartet mich, und der Distelfink bekommt die Rute, wenn der Geißenpeter keinen Käse bekommt, und hier kann man gar nie sehen, wie die Sonne gute Nacht sagt zu den Bergen; und wenn der Raubvogel in Frankfurt obenüber fliegen würde, so würde er noch viel lauter krächzen, dass so viele Menschen beieinander sitzen und einander bös machen und nicht auf den Felsen gehen, wo es einem wohl ist.”
    “Barmherzigkeit, das Kind ist übergeschnappt!”, rief Fräulein Rottenmeier aus und stürzte mit Schrecken die Treppe hinauf, wo sie sehr unsanft gegen den Sebastian rannte, der eben hinunter wollte. “Holen Sie auf der Stelle das unglückliche Wesen herauf!”, rief sie ihm zu, indem sie sich den Kopf rieb, denn sie war hart angestoßen.
    “Ja, ja, schon recht, danke schön”, gab Sebastian zurück und rieb sich den seinen, denn er war noch härter angefahren.
    Heidi stand mit flammenden Augen noch auf derselben Stelle fest und zitterte vor innerer Erregung am ganzen Körper.
    “Na, schon wieder was angestellt?”, fragte Sebastian lustig; als er aber Heidi, das sich nicht rührte, recht ansah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und sagte tröstend: “Pah! Pah! Das muss sich das Mamsellchen nicht so zu Herzen nehmen, nur lustig, das ist die Hauptsache! Sie hat mir eben jetzt auch fast ein Loch in den Kopf gerannt; aber nur nicht einschüchtern lassen! Na? Immer noch auf demselben Fleck? Wir müssen hinauf, sie hat’s befohlen.”
    Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langsam und leise und gar nicht, wie sonst seine Art war. Das tat dem Sebastian Leid zu sehen; er ging hinter dem Heidi her und sprach ermutigende Worte zu ihm: “Nur nicht abgeben! Nur nicht traurig werden! Nur immer tapfer darauf zu! Wir haben ja ein ganz vernünftiges Mamsellchen, hat noch gar nie geweint, seit es bei uns ist; sonst weinen sie ja zwölfmal im Tag in dem Alter, das kennt man. Die Kätzchen sind auch lustig droben, die springen auf dem ganzen Estrich herum und tun wie närrisch. Nachher gehen wir mal zusammen hinauf und schauen ihnen zu, wenn die Dame drinnen weg ist, ja?”
    Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber so freudlos, dass es dem Sebastian recht zu Herzen ging und er ganz teilnehmend dem Heidi nachschaute, wie es nach seinem Zimmer hin schlich.
    Am Abendessen heute sagte Fräulein Rottenmeier kein Wort, aber fortwährend warf sie sonderbar wachsame Blicke zu Heidi hinüber, so als erwartete sie, es könnte plötzlich etwas Unerhörtes unternehmen; aber Heidi saß mäuschenstill am Tisch und rührte sich nicht, es aß nicht und trank nicht; nur sein Brötchen hatte es schnell in die Tasche gesteckt.
    Am folgenden Morgen, als der Herr Kandidat die Treppe heraufkam, winkte ihn Fräulein Rottenmeier geheimnisvoll ins Esszimmer herein, und hier teilte sie ihm in großer Aufregung ihre Besorgnis mit, die Luftveränderung, die neue Lebensart und die ungewohnten Eindrücke hätten das Kind um den Verstand gebracht, und sie erzählte ihm von Heidis Fluchtversuch und wiederholte ihm von seinen sonderbaren Reden, was sie noch wusste. Aber der Herr Kandidat besänftigte und

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